Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Handkuss an. Dabei drückte er heimlich ihre Hand. Es war eine unerwartet vertrauliche Geste, so als wolle er Carya dadurch mitteilen, dass zwischen ihnen noch nicht alles gesagt sei.
Mit einer letzten Verbeugung in Richtung des Mondkaisers, die dieser huldvoll nickend zur Kenntnis nahm, verabschiedeten sich Cartagena und Carya. Schweigend legten sie den Weg bis zu der Treppe ins Dachgeschoss zurück, an der sich ihre Wege trennten.
»Sie vertrauen mir nicht, habe ich recht?«, sagte der Botschafter, als sie am Fuß der Treppe anhielten, um sich gute Nacht zu wünschen. Die Worte hatten weniger den Klang einer Anklage als vielmehr einer Feststellung
»Ich weiß nicht, wie ich Sie einschätzen soll«, erwiderte Carya wahrheitsgemäß. »Sie behandeln mich freundlich, schenken mir Schmuck und besorgen mir schöne Kleider, obwohl Sie mich auch hätten töten können. Dafür bin ich Ihnen dankbar. Doch gleichzeitig verheimlichen Sie mir Dinge und fordern mich durch irgendwelche Prüfungen heraus. Was würden Sie empfinden, wenn Sie an meiner Stelle wären?«
»Ich würde mich in Geduld üben und keine vorschnellen Schlüsse ziehen. Nicht alles, was Ihnen an meinem Verhalten seltsam erscheint, hat auch mit Ihnen zu tun. Sie kommen aus einfachen Verhältnissen. Das Minenfeld der hohen Politik ist Ihnen fremd. Ich kann und will Sie in diese Dinge gar nicht einführen. Ich möchte Ihnen nur helfen, zu erkennen, wer Sie wirklich sind. Genau darauf arbeiten wir hin – auch wenn Sie das nicht glauben wollen.«
»Das klingt schon wieder so, als würden Sie etwas wissen, das Sie mir nicht verraten«, sagte Carya anklagend.
Cartagena seufzte. »Sie drehen mir auch jedes Wort im Mund herum. Dabei stehen wir wirklich auf derselben Seite. Ich habe Sie den Ministern vorgestellt, die schon lange unter dem Mondkaiser dienen, damit Sie ein paar aussichtsreiche Ansprechpartner für Ihre Fragen haben. Und, ja, ich nutze sogar meine eigenen Verbindungen, um dezent Nachforschungen für Sie anzustellen. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Deshalb kann ich mich nur wiederholen: Haben Sie Geduld. Und lassen Sie sich nicht von irgendwelchen Leuten Flausen in den Kopf setzen. Hier im Schloss wird viel geredet. Aber nicht jeder sagt die Wahrheit.«
»Das glaube ich Ihnen aufs Wort.«
»Gute Nacht, Carya«, sagte der Botschafter. »Schlafen Sie gut. Morgen sind wir alle vielleicht schon schlauer.«
Sie trennten sich, und Carya kehrte in ihr Zimmer im obersten Stockwerk des Schlosses zurück. Sie hatte sich gerade ausgezogen und bettfertig gemacht, als es an der Tür klopfte. Schon wieder? , dachte sie. Hat man denn hier die ganze Nacht lang keine Ruhe? Kopfschüttelnd begab sie sich zur Tür und öffnete diese einen Spaltbreit. »Ja?«
Der graumelierte Diener, der sie schon zum Abendessen beim Kaiser abgeholt hatte, stand auf dem Flur, ein silbernes Tablett in den Händen. Darauf befand sich eine ebenfalls silberne Essensglocke. »Mit den besten Empfehlungen«, sagte er und hielt ihr das Tablett hin.
»Äh … warten Sie einen Augenblick.« Sie huschte zum Bett und hüllte sich in die Überdecke, um den Umstand zu verbergen, dass sie nur ihr Nachthemd anhatte. »Kommen Sie herein und stellen Sie es auf die Kommode.«
»Sehr wohl«, erwiderte der Diener und tat wie geheißen.
Als er verschwunden war, näherte sich Carya neugierig dem Tablett und hob die Essensglocke. Darunter befand sich eine Dessertschale mit heller Mousse und ein Briefchen.
Sie haben den Nachtisch verpasst. Hier eine süße Kostprobe.
Ergebenst, A.
Alexandre , durchfuhr es Carya freudig überrascht. Er hatte an sie gedacht. Irgendwie gefiel ihr das, auch wenn sie seinem Werben natürlich niemals nachgeben würde. Aber es war schön zu wissen, dass es auch noch Menschen auf Château Lune gab, deren Handeln von ganz simplen Motiven geprägt war.
Mit der Dessertschale in der Hand kehrte sie zum Bett zurück und machte es sich dort gemütlich. Die Mousse schmeckte hervorragend und war genau das Richtige, um die Aufregungen der letzten Stunden sich setzen zu lassen.
Was für ein Tag es aber auch gewesen war! Dem Rätsel ihrer eigenen Vergangenheit mochte sie keinen Schritt näher gekommen sein. Dafür allerdings hatte sie eine ganze Reihe mächtiger Männer und Frauen kennengelernt, die ihr – jeder auf seine Weise – Kopfzerbrechen bereiteten. Und sie hatte, das war vielleicht noch viel erschreckender, von furchtbaren Intrigen erfahren, die imstande
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