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Im Schatten des Mondlichts - das Erbe

Im Schatten des Mondlichts - das Erbe

Titel: Im Schatten des Mondlichts - das Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.J. Bidell
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zwischen den Bäumen aufragte. Kaum hatte Naomi das Plateau betreten, ergriff sie ein Gefühl von Stärke. Hatte sie eben noch die Anstrengung des Aufstiegs in ihrem Körper gespürt, so war diese in dem Moment, als sie die letzte Treppenstufe hinter sich gelassen hatte, verschwunden.
    Während Leandra auf der Plattform zu den anderen ging, blieb Naomi augenblicklich stehen. Es handelte sich um dasselbe Gefühl wie auf dem Hauptplatz in Mexico City. Nur viel intensiver. Nachdem sie sich wieder gefasst hatte, eilte sie zu Romina.
    »Du spürst es auch«, flüsterte Romina ihr zu, bevor Naomi selbst hätte fragen können.
    Naomi nickte und beobachte, wie Leandra, Brenda und Nopaltzin ihren Blick auf das dem Hügel zu Füßen liegende Dorf richteten. »Lass uns zu ihnen gehen. Wir behalten das, was gerade mit uns geschieht, für uns. Einverstanden?«
    Romina brummte zustimmend und folgte Naomi, die zu den anderen aufschloss.
    Leandra drehte sich mit einem Lächeln im Gesicht zu Naomi. »Es ist herrlich hier und soll ich dir was verraten? Ich fühle mich trotz der Plackerei zwanzig Jahre jünger.«
    Naomi beobachtete Leandra mit Erstaunen. In Leandras vormals gerötetem Gesicht war von der vorangegangenen Anstrengung nichts mehr zu sehen.
    »So etwas dachte ich mir«, sagte Nopaltzin. »Denn hier liegt der Ursprung eures Seins. Es ist der göttliche Platz von Huitzilopochtli. Der höchsten Gottheit unseres Volkes. In eurer Sprache bedeutet es Kolibri des Südens . Er ist der Kriegs- und Sonnengott und der Schutzpatron von Tenochtitlán, auf deren Trümmern die Stadt Mexico City erbaut wurde.«
    Nopaltzin sah zum Himmel. »In drei Stunden geht die Sonne unter und ich will euch die Anlage zeigen, bevor wir zu eurer Geschichte kommen.«
    Naomi folgte Nopaltzin schweigend. Niemals hätte sie gedacht, dass ihre Großmutter die Kraft dieser Erde ebenfalls zu spüren vermochte. Sie betrachtete Leandra, wie sie weit ausschritt, und sogar ihre Körperhaltung verriet mehr Spannung. Ihr sonst schmerzender Rücken schien durchgedrückt, die Schultern hielt sie zurückgenommen, und sie wirkte auf Naomi tatsächlich zwanzig Jahre jünger.
    Nopaltzin zeigte einen Hügel hinunter, in dessen Bewaldung sich eine steinerne Treppe befand, die ins Nichts führte. »Versucht eure Fantasie spielen zu lassen. Stellt euch vor, an dieser Treppe würde ein Tempel stehen und stellt euch weiter vor, dass jede Ruine, die ihr seht, einst ein prächtiges Bauwerk gewesen ist. Hier wurden die jungen Männer in einer heiligen Zeremonie in die Kriegerkaste aufgenommen. Anschließend wurden sie in Kampf und Kriegsführung weitergebildet. Es ist nicht leicht, sich eine längst vergangene Einrichtung mit Tempeln, Gebäuden und Plätzen vorzustellen. Doch bitte versucht es. Mir ist bewusst, dass bis auf den Jaguartempel nicht mehr viel zu erkennen ist.«
    Naomi versuchte sich auszumalen, wie es hier vor Hunderten von Jahren gewesen sein könnte; und scheiterte. Ihre Fantasie reichte einfach nicht aus. Sie sah nichts weiter, als zusammengefallene Steinmauern und einige Treppenstufen, die auf eine Plattform führten. »Wie viele Menschen haben hier gelebt?«, fragte sie.
    »Darüber gibt es keine Angaben. Ob neben den Priestern und ihren Untergebenen andere Mitglieder unseres Volkes hier lebten? Ich weiß es wirklich nicht. Wenn man aber bedenkt, dass wir in der Vergangenheit ein sehr kriegerisches Volk waren und in Tenochtitlán über vierhunderttausend Menschen lebten, durchliefen sehr viele hier die Weihe.« Nopaltzin bat sie, ihm zu folgen. Vor einem Tempel blieb er stehen. »Dieser Tempel wurde aus einem einzigen Felsen geschaffen. Es gibt keine Verbindungen oder nachträglich angefügten Artefakte. Hier ist alles noch genau so, wie es vor über sechshundert Jahren gewesen ist.«
    Naomi betrachtete den Tempel. An der Frontseite führten Treppenstufen zum Tempeleingang. Sie wurden von einer Statue in deren Mitte unterbrochen. Links und rechts führte eine Art Rampe nach oben, die die Treppenstufen flankierte.
    An deren Seite saßen zwei Steinfiguren in Form eines sitzenden Jaguars, die den Tempel bewachten, wobei dem rechten der Kopf fehlte und man nur anhand der Pfoten erkennen konnte, dass es sich dabei um eine Katze handeln musste. Jeweils schräg an der Haupttreppe entlang verliefen Nebentreppen, die zur Tempelplattform hochführten.
    Um den Hauptplatz vor dem Tempel formten weitere Treppen eine Art Empore, die Naomi an ein römisches Amphitheater

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