Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
in die er Naomi in der ersten Nacht gebracht hatte, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, sie dort vorzufinden. Sie schien vom Erdboden verschluckt. Naomi, dieses sture Mädchen. Keinesfalls hätte sie Roman zurückgelassen. Das brächte sie nicht über sich. Niemals. In seinem Hinterkopf pochte es: und wenn doch? Wenn sie wirklich abgereist war? Sammy schlug wütend nach einem herunterhängenden Ast. Warum sollte sie? Sie wusste nicht, dass er noch am Leben war. Der kleine Goldschatz hatte hier nichts mehr zu befürchten. Wo zum Teufel steckte sie?
Die ganze Nacht suchte Sammy nach ihr, bis ihm dämmerte, dass sie tatsächlich fort sein musste. Doch wohin könnte sie gegangen sein? Nach Hause? Nach Deutschland zurück? Möglich. Doch sie käme wieder. Davon war er überzeugt. Sie konnte gar nicht anders, als sich ihren Roman wiederzuholen. Ein leises Fauchen entwich seiner Kehle. Miststück. Wenn ich sie nicht töten kann, dann werde ich ihr Roman nehmen. Und dann wird sie sich wünschen, sie sei gestorben.
*
Roman verließ die Arztpraxis. Dieser Quacksalber wollte ihn allen Ernstes zum Psychiater schicken, und das nur wegen eines Blackouts und leichter Depressionen. Trotz der vergangenen Zeit konnte er sich weder erklären, warum er im Haus seines Onkels am See aufgewacht war, noch wie er dort hingekommen war. Ihm fehlten volle zwei Wochen und auch Ereignisse aus den Tagen davor.
Wer war Naomi? Er wusste, dass es sich um eine Austauschstudentin handelte. Doch warum sollte er wissen, warum sie plötzlich abgereist war? Er kannte sie überhaupt nicht. Robert behauptete, er sei mit dieser Naomi ausgegangen, und auch Bertram, sein Onkel, hatte letzte Woche nach Naomi gefragt, als ob er sie kennen müsste. Er würde sich doch erinnern, wenn er einige Dates mit ihr gehabt hätte. Dessen war er sich sicher. Außerdem ging er nicht mit Studentinnen aus. Das gab nur Ärger. Und niedergeschlagen fühlte er sich auch nur, weil er das unbestimmte Gefühl hatte, etwas Unwiederbringliches verloren zu haben. Er wusste zwar nicht, was es war, aber er spürte eine tiefe Leere in seinem Inneren.
Roman knallte die Wagentür seines Pick-ups zu und schlug mit der Faust auf das Lenkrad. Dieser blöde Arzt. Den suchte er sowieso nur auf, weil die Unileitung darauf bestand, nachdem er über zwei Wochen unentschuldigt gefehlt hatte und nun mit Gedächtnislücken kämpfte.
Doch, wo war er in dieser Zeit gewesen? Im Haus am See? Das wüsste er! Warum sollte er dort hingefahren sein? Diese Unwissenheit schaffte ihn noch mehr, als die merkwürdigen Blicke, die er von Robert und Bertram auffing, wenn sie dachten, er würde nicht bemerken, wie sie ihn beobachteten. Als hätte er einen Dachschaden. Er seufzte. Vielleicht hatte er tatsächlich einen. Immerhin waren da diese Erinnerungslücken. Doch auch die würden sich wieder schließen. Irgendwann. Und dann wäre er wieder ganz der Alte. Das hoffte er zumindest.
*
Naomi lag mit geöffneten Augen auf ihrem Bett. Obwohl sie sich völlig erschöpft fühlte, hielten ihre Gedanken sie wach. Dieses Mal hatte sie unbemerkt in den Wald laufen können, doch wie wäre es am nächsten Abend, im nächsten Monat und bei den darauf folgenden Vollmonden? Wie sollte sie das auf Dauer vor ihrer Mutter geheim halten?
Die Tür schwang auf, und Leandra streckte ihren Kopf herein. »Du bist wach?« Sie trat ins Zimmer und setzte sich auf die Bettkante. »Und? Kamen noch welche?«
Naomi verneinte. »Es war nicht anders zu erwarten. Gehofft hatte ich es aber trotzdem.« Sie rieb sich die rechte Schulter. »Wie hast du Mama ablenken können? In der Küche brannte Licht. Hat sie die Haustür nicht gehört?«
»Ich habe ihr ein leichtes Schlafmittel in den vorbereiteten Kaffee gekippt.« Ihre Großmutter zuckte hilflos mit den Achseln. »Sie schlummerte nach der ersten Tasse am Küchentisch ein.«
Naomi schloss die Augen. Ihre Mutter bereitete die Kaffeemaschine stets am Vorabend vor, damit sie morgens nur noch den Knopf drücken musste. »So geht es nicht weiter, Oma. Ich muss mir eine Wohnung suchen.«
»Und das Baby? Das wird nicht funktionieren.« Leandra sah Naomi eindringlich an. »Noch eine Nacht, dann haben wir Zeit, uns etwas Anderes zu überlegen. Aber eine eigene Wohnung kommt nicht in Frage. Wovon würdest du die auch bezahlen?«
Soweit hatte Naomi gar nicht gedacht. Sie hatte keinen Job und war schwanger. Es wäre unmöglich. »Aber, wie soll es weitergehen? Mama sagen, was
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