Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
her?«, empfing sie mich. »Ich dachte, Sie schlafen schon längst.«
Ich hatte wohl einen etwas schwankenden Gang. Denn sie geleitete mich an einen Tisch.
»Au, au, das kenne ich von meinem Mann. Da hilft nur eins ...«
Sie verschwand in der Küche und kam mit einem Glas zurück, in dem sich etwas sprudelnd auflöste.
»Trinken und ausschlafen!«, befahl sie. »Ich mache Ihnen dann ein Spezialfrühstück.«
9
Es war bereits Mittag, bis ich mein Frühstück einnahm – ein als Omelette getarntes Bauernfrühstück, das zwischen den Mittagessen der übrigen Gäste nicht ganz so deplatziert wirkte.
Die Essenz meiner nächtlichen Gespräche war befriedigend. Die Kollegen von der Presse waren gleicher Meinung, dass der Professor nicht durch einen Unfall umgekommen war. Verstärkt hatte diese Annahme das Verhalten ihres Chefredakteurs, der einen hinterfragenden Artikel gekippt hatte.
Weiter hatte man meine Annahme geteilt, dass es am Münsterplatz nicht mit rechten Dingen zuging, obwohl es zwischen den Wirten schon öfters Streitigkeiten gegeben hatte. Neu für mich war, dass es die Zweiteilung der Verwaltungsgesellschaften erst seit einigen Monaten gab. Diese hatte nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden.
Auch für den Namen »Gottes Helfer« hatten sie eine Erklärung. Es war der Spitzname des Erzbischofs in der Stadt, der wegen seiner Distanz zur Presse nicht beliebt war. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass sich ein Erzbischof an Otto die Finger schmutzig machte, aber ich ließ die Möglichkeit offen.
Ich hatte lange überlegt, welche Blumen die passenden sein könnten, und mich für Sonnenblumen entschieden. Sie strahlten zeitlose Freundlichkeit aus und erhoben nicht den Anspruch, nur zu bestimmten Gegebenheiten verschenkt werden zu dürfen.
Frau Solvay öffnete. »Ach, Sie! Kommen Sie herein.«
Ihre blonden Locken bildeten einen zauberhaften Kontrast zu einem schlichten grauen Kleid. Bei meinem ersten Besuch war mir nicht aufgefallen, wie zerbrechlich sie war. Groß, aber feingliedrig.
Sie nahm mir meinen erneuten Besuch anscheinend nicht übel und bat mich ins Wohnzimmer.
»Trinken Sie einen Kaffee mit? Es dauert noch ein wenig, bis er durchgelaufen ist. So lange stelle ich die Blumen ins Wasser.«
Sie verschwand in die Küche.
Ich nutzte die Zeit, um mir den Raum genauer anzusehen als beim letzten Mal.
Unter einem der drei Fenster stand ein dunkelbrauner Schreibtisch mit gedrechselten Beinen. Um ihn herum waren Papiere, Akten und Bücher, fein säuberlich getrennt, zu Stapeln aufgeschichtet. Auf dem Fensterbrett standen Bücher, wie ich sie im Archiv gesehen hatte. Goldbedruckte Lederrücken, teilweise sogar mit Goldschnitt.
»Das war sein Arbeitsplatz.«
Sie jonglierte ein Tablett mit Tassen, Keksen und einer Kanne und hatte sich geschminkt.
»Möchten Sie einen Cognac dazu? Vater hat immer einen zu den Keksen getrunken.«
Ich lehnte dankend ab. Mein Bedarf war noch gedeckt.
»Kommt nicht in Frage. Ich trinke nicht gerne alleine, und heute ist mir nach einem Cognac ... als Toast und Andenken an einen wahrhaft genialen Menschen.«
Nachdem wir auf den Professor angestoßen hatten, streifte sie die Schuhe ab und zog die Beine auf den Sessel.
»Was haben Sie mit meiner Tochter gemacht? Die schwärmt nur so von Ihnen.«
»Nichts. Ich habe nur ihrem Spiel gelauscht. Sie ist schon fast perfekt.«
»Wenn sie so gut in der Schule wäre, hätte ich ein paar Sorgen weniger. Aber stopfen Sie sie nicht mehr so mit Eis voll. Das untergräbt meine Autorität.«
Sie lächelte dabei. Ihr Tadel war demnach nicht ganz so ernst gemeint.
»Ihr wird eine starke Hand fehlen, wenn ich erst einmal wieder arbeiten muss. Ich weiß auch nicht, wie das werden soll.«
Sie schlug einen Weg ein,der zwar angenehm werden konnte, mir aber momentan nicht in den Zeitplan passte.
»Ähm, darf ich zwischendurch eine andere Frage stellen?«, versuchte ich meine Linie wieder zu finden.
»Fragen Sie.«
Behutsam versuchte ich ihr zu erklären, wonach ich suchte und dass die Beweise alle in die Richtung deuteten, dass der Professor kein Spinner gewesen war, sondern bewusst oder zufällig jemand mit seinen Recherchen zu nahe gekommen war, und dass ich seinen Tod nicht für einen Unfall hielt.
Sie stützte den Kopf in die Hände und starrte durch mich hindurch. Es entstand eine lange Pause, die nur vom Knacken der Kekse gestört wurde, die ich unbewusst in mich hineinstopfte.
»Nun gut. Von mir aus
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