Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
Paparazzo.
»Es gibt auch bei uns schwarze Schafe, wie in jedem Beruf. Natürlich interessiere ich mich für alles, was eine Geschichte erzählen kann.«
»Auch für eine Geschichte, die ihren Anfang vor langer Zeit hatte und ihr Ende erst morgen finden wird?«
»Hat die mit diesem Otto zu tun?«
Er nickte versonnen. »Ja; dieser Mann wird Unheil über den Münsterplatz bringen.«
»Wie soll das denn gehen?«, fragte ich vielleicht eine Spur zu ungläubig.
Er lehnte sich zurück und blickte einen Moment ins Leere. »Keiner will mir glauben. Mir fehlt der letzte Beweis, aber es wird in nicht allzu weiter Ferne einen Knall geben.«
Er schaute aus dem Fenster. Die Marktstände waren abgebaut. Das grobe Pflaster des Münsterplatzes glänzte im Regen. Ein paar Tauben pickten in den Hinterlassenschaften der Marktleute. Die Stadtreinigung würde bald auch diese Reste entfernt haben.
Er stemmte sich vom Tisch hoch und legte einen Geldschein neben die Karaffe.
»Entschuldigen Sie. Aber ich bin es leid, immer wieder zu warnen und für einen Spinner gehalten zu werden. Und Sie sind nicht ehrlich.«
»Was meinen Sie damit?«
Er zog sich seinen Mantel über und stützte sich mit den Fingerkuppen auf der Platte ab. »Entweder sind Sie kein Journalist oder nicht an Orgeln interessiert. Sonst hätten Sie sich Notizen bei meinem Vortrag gemacht. Aber ich gebe Ihnen trotzdem einen guten Rat. Dieser Otto birgt ein Geheimnis. Beobachten Sie, was in nächster Zeit um das Münster herum passiert. Da mir keiner glauben will, müssen alle erst fühlen. Guten Tag.«
Ich sah ihm nach, bis er wieder im Münster verschwunden war, und bestellte noch ein Viertel Wein.
Mein Gehirn fand keine passende Erklärung für diesen Auftritt. Oder war es eine Warnung gewesen?
»Darf ich Ihnen noch etwas bringen?«
Eine männliche Stimme riss mich aus meinen Betrachtungen. Ein fülliger Mann in Kochkleidung beugte sich herab.
»Entschuldigung. Ich bin der Wirt. Sind Sie neu in der Stadt?«
Er zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich.
Die Bedienung brachte ihm ein Achtel Weißwein und eine Packung Zigaretten. Nachdem er den ersten Rauch genussvoll eingesogen und wieder ausgeblasen hatte, entschuldigte er sich wieder.
»Ich bin das beste Beispiel dafür, dass alle Wirte saufen und rauchen. Das wissen die Versicherungen ganz genau, und unser Berufszweig muss Risikozuschläge zahlen wie nur noch Sprengmeister.«
Er lachte mit bebendem Bauch und ließ das Achtel in seiner Kehle verschwinden.
»Na, hat Sie der Professor auch davon zu überzeugen versucht, dass unser Otto der neue Erzengel Gabriel ist, der Unheil über unsere sündige Stadt bringen wird?«
Er lachte wie über einen guten Witz und hielt das leere Glas der Bedienung zum Nachschenken hin.
»Was wissen Sie über diesen Otto?«
Er schob sein Doppelkinn nach vorn und leerte das Glas erneut.
»Eigentlich nicht viel. Nein. Wirklich weiß keiner etwas über ihn. Er kommt jeden Markttag um zwölf und geht um zwei. Egal bei welchem Wetter. Er füllt sich die Tüten mit den Abfällen, die die Händler nicht verwerten können, packt sie in seinen Leiterkarren und verschwindet wieder.«
»Wo lebt er und wovon?«, hakte ich nach.
Der Wirt hob die Schultern.
»Er wohnt irgendwo außerhalb, und wahrscheinlich lebt er von den Abfällen. Sind ja nicht verdorben, nur eben nicht mehr zu verkaufen.«
»Wie lange kennt man ihn?«
»Keine Ahnung. Er tauchte irgendwann vor vielen Jahren auf und ist seither ein fester Bestandteil des Münsterplatzes.«
»Er scheint hilfsbedürftig zu sein. Tut die Stadt denn nichts für ihn?«
Er steckte sich eine neue Zigarette an.
»Die Stadt? Wozu? Er scheint allein zurechtzukommen. Mir ist nicht bekannt, dass er irgendeinen Antrag auf Hilfe gestellt hat. Keiner weiß, ob er überhaupt lesen und schreiben kann.«
»Er ist doch krank«, insistierte ich.
Der Wirt wog mit dem Kopf.
»Ja, Bechterew im letzten Stadium, sagen die Ärzte, die bei mir verkehren. Sind sich sicher, dass er es nicht mehr lange machen wird. Aber behandelt ... nein, das hat ihn noch keiner.«
»Das ist doch ein fürchterlicher Tod. Man erstickt jeden Tag ein Stück mehr.«
Er schaute mich an, als sei ihm der Verlauf dieser Krankheit noch nie bewusst geworden.
»So. Na ja. Sie entschuldigen. Ich muss in die Küche zurück.«
Ganz leise schob er den Stuhl wieder unter den Tisch und räumte sein Glas und den Aschenbecher ab.
Ich überlegte, ob ich noch einmal den
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