Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
Professor an der Orgel aufsuchen sollte, um mein ehrliches Interesse an Otto zu bekunden, ließ es aber.
Meine Arroganz, den Organisten nicht mehr sprechen zu wollen, würde sich sehr bald als großer Fehler erweisen. Aber davon ahnte ich an diesem Tag noch nichts.
Stattdessen nahm ich ein Taxi, das mich in meinen Gasthof zurückbringen sollte. Da mir die Stadthotels zu teuer waren, hatte mir ein Studienkollege eine Pension etwa fünf Kilometer außerhalb der Stadt empfohlen. Es war nichts Besonderes, aber die Wirtsleute waren sehr freundlich, das Zimmer sauber und ruhig, und die Küche entsprach meinem etwas deftigen Geschmack. Abends saßen alle beisammen und redeten über alte und neue Zeiten. Das tat der Seele wohler als manch ein Schlaftrunk, der das Abschalten und den Schlaf herbeizwingen sollte.
Sinnverloren folgte ich den Regentropfen, die an das Taxifenster klatschten, sich zerteilten und als kleine Bäche vom Fahrtwind ins Nichts gerissen wurden.
Die Landschaft draußen nahm ich nur als Wechsel von Grautönen wahr. Auf einem parallel zur Landstraße verlaufenden Wirtschaftsweg glaubte ich einen gebeugten Schatten mit einem Handwagen erkannt zu haben. Ich drehte mich um, konnte aber durch die aufspringende Gischt der Reifen nichts sehen.
»Wer war das, den wir gerade überholt haben?«, fragte ich den Fahrer, der bisher wohltuend ruhig gewesen war.
Er schüttelte den Kopf. »Da war niemand. Wir sind gleich da.«
Nach dem Abendbrot, Frau Gerster hatte mir eine Versperplatte gemacht, saß ich mit ihrem Mann zusammen.
Herr Gerster war ein feingliedriger Mann mit scharfen Gesichtszügen. Die Pension war ihr Eigentum, brachte aber nicht so viel ein, dass sie sich selbst trug. Daher arbeitete Herr Gerster untertags bei der Stadtverwaltung und kümmerte sich in seiner Freizeit um die vielen kleinen Reparaturen, die das Haus so mit sich brachte.
An diesem Abend hatte ihn meine Frage nach einem Otto vom Münsterplatz von weiteren Tätigkeiten abgehalten.
Ruhig hörte er sich meine Geschichte vom Professor, dem Wirt und Otto an.
Bedächtig entkorkte er eine Flasche, die kein Etikett trug.
»Wollen Sie auch einen?« Er hielt mir den Flaschenhals unter die Nase.
»Obstler. Selbst gebrannt. Hilft gegen alles, auch böse Geister.« Er lächelte. »Na ja,Otto. Wer kennt ihn nicht? Wohnt nicht weit von hier in einem heruntergekommenen Bauernhaus. Hat ein paar Schweine, die aber regelmäßig an Altersschwäche sterben, da sie keiner schlachtet, und ein paar Hühner, die das gleiche Schicksal erleiden, wenn sie nicht der Fuchs holt. Otto ist Vegetarier. Vielleicht lebt er deshalb noch.«
Er goss noch einen von diesem Teufelszeug nach, das zuerst nicht hinunterwollte, um mir dann den Schweiß aus den Poren zu treiben.
»Der Professor ... persönlich kenne ich ihn nicht. Ist aber auch so ein Unikum in der Stadt. Sehr guter Organist, wie man sagt, und beschäftigt sich mit Genealogie und Heraldik. Manchmal steht was davon in der Zeitung.«
Ich hielt die Hand über das Glas, um zu verhindern, dass er nachgoss.
»Der Professor hat keine Ruhe, wenn er nicht den Stammbaum von jedem kennt. Das hat er wohl auch bei Otto versucht. Der wohnt auf einem Gelände, das seit Jahrhunderten einem Italiener gehört, über den aber keine Informationen aufzutreiben sind. Das bringt unseren Organisten um den Verstand. Die Wirte am Münster sehen Otto nicht gerne. Sie haben Angst, dass ihre Gäste Anstoß an seinem Aufzug nehmen könnten ... womöglich ein paar Flöhe den Besitzer wechseln.«
Er lachte herzhaft und verkorkte die Flasche.
»So, jetzt muss ich aber noch was tun. Fragen Sie mal meine Frau. Vielleicht weiß die etwas mehr.«
Frau Gerster war eine Frau Mitte vierzig. Dass sie eine gute Köchin war, die beim Abschmecken nicht nur nippte, sah man ihr an. Ihre lustigen Augen bildeten eine Einheit mit den rosa Backen, die fließend in den Hals mündeten.
»Ist gerade fertig geworden. Probieren Sie ein Stück.«
Sie stellte ein Ungetüm von Torte auf den Tisch und schnitt sie sofort an.
Ich machte wohl ein abwehrendes Gesicht.
»Stellen Sie sich nicht so an, das ist meine Spezialität. Die alten Damen sind ganz wild darauf. Der Schnaps ist schon drin«, sie zwinkerte mit den Augen.
Nachdem ich ihre Spezialität genossen hatte, musste ich mich konzentrieren. Einer der Schnäpse, entweder der flüssige oder der versteckte, begann Wirkung zu zeigen. Ich wiederholte, was ich ihrem Mann gesagt hatte.
»Otto
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