Im Schatten dunkler Mächte
überraschen können. Also beantworte meine Frage. Wer ist er?« Ich winkte den Barmixer heran, bestellte einen Ananassaft â ohne Tequila â und wartete.
»Einer von uns.«
»Was?« Ich blinzelte verwirrt. »Der Lord Master ist ein Feenwesen?«
Vâlane nickte.
Zwar hatte ich bei unseren beiden Begegnungen den leisen Eindruck einer Feenausstrahlung bemerkt, aber auch deutlich gespürt, dass er ein Mensch ist. Ãhnliches hatte ich bei Mallucé und Derek OâBannion empfunden. Ich hatte vermutet, das läge daran, dass der Lord Master Feenfleisch aÃ, und nicht daran, dass er ein Feenwesen war . »Aber er fühlt sich nicht so an. Was bedeutet das?«
»Er gehört nicht mehr zu uns. Der, der sich jetzt Lord Master nennt, war früher ein Seelie namens Darroc, ein geschätztes Mitglied des Hohen Rates der Königin.«
Ich zwinkerte verständnislos. Er war ein Seelie? Weshalb brachte er dann Unseelie in unsere Welt? »Was ist passiert?«
»Er hat unsere Königin hintergangen. Sie entdeckte, dass er insgeheim mit den königlichen Jägern konspirierte, um sie zu stürzen und zur alten Lebensweise zurückzukehren â zu den früheren Zeiten, in denen die Feenwesen nicht an einen Pakt gebunden waren und die Menschen als flüchtigen Zeitvertreib ausnutzen konnten.« Fremdartige, uralte Augen betrachteten mich.»Darrocs Lieblingsbeschäftigung war, mit menschlichen Frauen ein langes, grausames Spiel zu treiben, bevor er sie vernichtete.«
Ein Bild von Alinas Körper auf dem Metalltisch in der Pathologie entstand vor meinem geistigen Auge. »Hab ich dir schon gesagt, wie sehr ich ihn hasse?«, zischte ich. Für einen Augenblick bekam ich kein weiteres Wort mehr heraus und konnte an nichts anderes denken als daran, wie er Alina zugerichtet und dass er sie zum Sterben in einer dreckigen Gasse liegen gelassen hatte. Ich atmete ein paarmal tief und bedächtig durch, dann fragte ich: »Also habt ihr ihn aus dem Feenreich geworfen und auf uns losgelassen?«
»Als die Königin seinen Verrat entdeckte, nahm sie ihm die Macht und die Unsterblichkeit und verbannte ihn in euren Bereich. Sie verurteilte ihn dazu, das Leid eines kurzen, erniedrigend befristeten Lebens zu erdulden und zu sterben â das grausamste Urteil für ein Feenwesen, grausamer noch, als durch eine der unvergänglichen Waffen zu vergehen oder ⦠einfach zu verschwinden, wie es manche von uns tun. Der menschliche Tod, die Würdelosigkeit der Sterblichen ist die gröÃte Demütigung für uns.«
Er war so arrogant. »War er ein Prinz?« Ein Toddurch-Sex-Feenwesen wie Vâlane? Hatte er meine Schwester so verführt?
»Nein. Aber er war ein Altehrwürdiger in unserem Volk. Mächtig.«
Mir fiel an alldem eine klitzekleine Ungereimtheit auf. »Woher willst du das wissen, wenn du aus dem Kelch getrunken hast?« Vâlane selbst hatte mir erzählt, dass der Nachteil des immerwährenden Lebens der Wahnsinn ist. Die Feenwesen kamen der geistigen Verwirrtheit zuvor,indem sie aus dem Seelie-Heiligtum, dem Kelch, tranken. Der geheiligte Trunk löschte ihr Gedächtnis aus, damit sie ein ganz neues Feenleben ohne Erinnerungen an ihr bisheriges Dasein beginnen konnten.
»Der Kelch ist nicht ohne Makel, MacKayla. Erinnerungen sind â wie hat sich einer eurer Künstler ausgedrückt? â beharrlich. Der Kelch wurde erschaffen, um die Bürde der Ewigkeit zu lindern, nicht um vollkommene Leere in uns zu hinterlassen. Nachdem wir aus ihm getrunken haben, sprechen wir die Sprache, die wir als Erstes gelernt haben. Darrocs ist auch die meine âwir beide sind der uralten Sprache mächtig, die wir zu Anbeginn der Geschichte unseres Volkes gesprochen haben. Auf diese Weise erfahren wir ein paar Dinge über andere, auch wenn unsere Erinnerungen ausradiert wurden. Manch einer von uns versucht, Informationen über sein bisheriges Leben festzuhalten und zu verstecken, um sie in der nächsten Inkarnation finden zu können. Ein Leben am Hofe der königlichen Feenwesen kann sehr unangenehm werden, wenn man nicht fähig ist, Freund und Feind voneinander zu unterscheiden. Auch deshalb zögern wir den folgenschweren Schritt so lange wie möglich hinaus. Hin und wieder bleiben uns Erinnerungsfetzen an frühere Zeiten. Einige müssen zwei-, dreimal trinken, um ganz rein zu
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