Im Schatten meiner Schwester. Roman
seinem Hemd und weinte um die Schwester, die sie abwechselnd liebte und hasste, die jedoch nun nicht mehr selbständig atmen konnte.
Er redete leise auf sie ein und hielt sie fest. Molly hatte kaum die Beherrschung wiedererlangt, als sie die Schritte ihrer zurückkehrenden Mutter hörte. Sie atmete schnell durch und wischte sich das Gesicht mit den Händen ab.
Natürlich sah Kathryn die Tränen. »Bitte weine nicht, Molly. Wenn du weinst, werde ich das auch; aber ich will nicht, dass Robin uns aufgeregt sieht.« Sie zog ihr klingelndes Handy heraus und schaltete es rasch aus. Das Gleiche tat sie mit dem BlackBerry. »Ich kann nicht reden«, erklärte sie mit einem abfälligen Wedeln der Hand. »Ich kann im Moment an nichts anderes denken außer daran, wie es Robin bessergehen kann. Aber ich möchte mich gerne waschen, während die Schwester bei ihr ist. Wenn du mich hier ablöst, Molly, wird dein Vater mich heimfahren. Wir sind bald zurück. Dann kannst du nach Snow Hill fahren.«
Molly wollte widersprechen, doch sie wusste, dass es sinnlos war. Also blickte sie zu ihrem Vater. »Jemand muss Chris anrufen.«
Charlies Augen blickten an ihr vorbei. »Nicht nötig. Da kommt er schon.«
Chris hatte versucht zu arbeiten, doch sein Herz war nicht dabei. Dauernd dachte er an das Chaos, in dem sich sein Leben befand,
und da er nicht wusste, was er zu Erin sagen sollte, schien das Krankenhaus der einzige Ort zu sein, an dem er sein konnte.
Ein Blick auf seine Eltern jedoch, und er bereute es. Sie wirkten verbissen.
»Keine Veränderung?«, fragte er, als er nahe genug war.
Das Schweigen darauf beantwortete seine Frage.
»Die Magnetresonanztomographie hat einen Hirnschaden gezeigt«, berichtete Molly ihm.
Kathryn warf ihr einen ärgerlichen Blick zu. »Solche Tomographien zeigen nicht alles.«
»Sie müssen ein EEG machen«, meinte Chris.
»Mom will warten.«
»Bitte, Molly«, sagte Kathryn. »Du hilfst nicht gerade.«
Als Molly den Mund zum Protest aufmachte, schritt Charlie ein. »Sie wollte dich nicht kritisieren, Kathryn.«
»Sie überstürzt alles.«
»Nein. Die Ärzte haben das EEG vorgeschlagen. Sie bringt nur Chris auf den neuesten Stand.« Charlie griff nach Kathryns Hand und sagte zu Chris: »Ich bringe eure Mutter nach Hause. Wir kommen bald zurück.«
Chris sah ihnen nach und konnte kein Anzeichen dafür erkennen, dass Kathryn widersprach, was seine Ansicht bewies. Sein Vater musste nicht viel sagen, um Wirkung zu zeitigen. Das musste auch Erin begreifen.
»Alptraum«, flüsterte Molly.
»Mom oder Robin?«
»Beide. Ich bin wegen des EEGs deiner Meinung. Wir müssen es machen, aber Mom hat Angst. Chris, die Schwester ist bei Robin. Wenn sie rauskommt, kannst du bitte reingehen? Ich gehe auf einen Kaffee runter. Willst du auch einen?«
Er schüttelte den Kopf. Als er allein war, lehnte er sich an die Wand. Und wie sollte er nicht an Robin denken? Seine frühesten Erinnerungen waren vage, und in ihnen saß sie in einem Zimmer und baute Burgen um ihn herum oder verkleidete ihn mit alten Kostümen. Er konnte nicht älter als drei gewesen sein. Deutlicher erinnerte er sich daran, dass sie ihn an Halloween mitgeschleppt hatte. Als er zehn war, nahm sie ihn mit auf schwarze Skipisten. Er war alles andere als ein guter Skifahrer, Robin aber schon – und bei Robin ging es immer nur um Herausforderungen.
»He«, ertönte eine vertraute Stimme.
Er sah auf und erblickte Erin und empfand sofort Erleichterung. Er wollte seine Frau jetzt bei sich haben, brauchte sie. »Wo ist Chloe?«, fragte er.
»Bei Missis Johnson. Wie geht es Robin?«
Nicht gut, antwortete sein Blick. »Die Magnetresonanztomographie deutet auf einen Hirnschaden hin.«
»Von einem Herzinfarkt? Wie konnte sie einen Herzinfarkt haben?«
Chris hatte das Stadium der Ungläubigkeit hinter sich gelassen und spürte eine Woge des Zorns.
»Sie hat sich angetrieben. Sie hat sich immer angetrieben. Wenn es eine Herausforderung gab und jemand sie annehmen konnte, dann musste sie es sein. Sie hält schon jeden lokalen Rekord und dazu noch ein halbes Dutzend nationale. Deshalb wollte sie New York gewinnen. Doch sie ist zu weit gegangen. Warum musste sie einen Weltrekord brechen? War Gewinnen denn nicht genug?«
Erin legte ihm die Hand auf den Arm und sagte sanft: »Das ist im Moment doch egal.«
Er atmete tief ein, um sich zu beruhigen.
»Wie nimmt Mom das Ganze auf?«, fragte sie.
Er zog ein Gesicht.
Lausig.
»Ist dein Dad eine
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