Im Schatten meiner Schwester. Roman
Hilfe?«
Das ließ Chris lebendiger werden. »Ja, das ist er. Er muss nicht viel sagen, doch es klappt. Ich habe es gerade gesehen. Er sagt zwei Worte, und sie beruhigt sich.«
»Sie sind seit mehr als dreißig Jahren verheiratet.«
Er schüttelte den Kopf. »Es geht nicht um die Zeit, so ist ihre Beziehung eben.«
»Chris, ich bin nicht deine Mom. Sie und ich sind völlig unterschiedlich. Außerdem ist sie die ganze Zeit nicht zu Hause. Das war sie auch nicht, als ihr noch klein wart, und das kritisiere ich auch nicht. Ich bin nicht neidisch. Sie hat damals Snow Hill auf den Weg gebracht, und schau nur, was daraus geworden ist. Sie ist eine unglaubliche Frau. Wenn ich so etwas schaffen könnte, könnte ich mit abendlichem Schweigen leben.«
»Sie ist eine Getriebene.«
»Wovon?«
Er zuckte mit den Schultern. Er konnte sich seine Frau schon nicht erklären, und sie war weniger komplex als Kathryn.
»Also«, fragte er, da er es wissen musste, »fährst du denn nun zu deiner Mom?«
»O mein Gott, nein«, antwortete Erin schnell. »Nicht jetzt, wo Robin so krank ist.« Ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern. »Aber was zwischen uns gerade passiert, wird nicht weggehen, Chris. Wir werden uns irgendwann damit beschäftigen müssen.«
Als Molly nach Snow Hill zurückkehrte, war der Parkplatz voll mit Kundenautos. Sie schlüpfte ins Haus, nahm die Hintertreppe zu ihrem Büro und schloss die Tür. Sie scheuchte eine Katze von ihrem Stuhl und eine andere von der Tastatur und verschränkte die Hände.
Sie wollte nicht hier sein, doch ihr Vater hatte darum gebeten. Und außer dass es ihre Schuld linderte, wollte Molly auch helfen. Sie konnte lange und heftig dagegen ankämpfen, aber Kathryn zu gefallen hatte stets weit oben auf ihrer Liste gestanden.
Im Moment wollte Kathryn eben, dass sie arbeitete. Also loggte sie sich gehorsam ein und zog ihren Kalender für die Woche zu sich. Heute und morgen mussten Bestellungen aufgegeben werden, doch Donnerstag sollte sie die Rede ihrer Mutter in einem Frauenclub in Lebanon darüber vorbereiten, wie man Küchengärten anlegte. Natürlich konnte sie nicht hingehen. Was für eine Entschuldigung sollte sie anführen? Und ihr Auftritt am Freitag bei WMUR in Manchester? Molly hasste es, im Fernsehen aufzutreten, selbst wenn Kathryn die ganze Zeit redete. Das Fernsehen ließ ihre Augen zu eng beieinanderstehen, ihre Nase zu kurz und ihren Mund zu breit aussehen. Sie hatte probiert, ihr Haar nach hinten zu binden oder es locker fallen zu lassen, hatte Anzughosen oder Jeans getragen, Blau oder Lila oder Grün angezogen. Doch egal, was, neben Kathryn verblasste sie immer.
Keiner von ihnen wäre in der Lage, am Freitag im Fernsehen aufzutreten, so dass ihr Vater das absagen konnte.
Ihre Gegensprechanlage summte. »Was Neues?«, fragte Tami.
»Noch nicht«, antwortete Molly und kam sich unaufrichtig vor. »Wir warten auf noch mehr Tests.«
»Joaquin hat gefragt. Er hat sich Sorgen gemacht, als er keines der Autos deiner Eltern gesehen hat. Sie kommen doch normalerweise früh her, wenn sie weg gewesen sind.«
Joaquin Peña war das Mädchen für alles in Snow Hill. Er kümmerte sich nicht nur um die Gebäude und das Gelände, sondern er lebte auch vor Ort und war deshalb für alle Notfälle zuständig, die nach Ladenschluss eintraten.
Joaquin betete Robin an.
Sag ihm, dass sie in Ordnung kommt, wollte Molly erwidern, doch die Tomographie spottete dieser Behauptung. Also antwortete sie nur: »Dad wird später kommen.« Was die Frage nicht beantwortete, was sie Joaquin oder allen anderen erzählen sollte, die sich nach Robin erkundigen würden. Aber Charlie war gut in solchen Dingen. War er nicht ihr Pressemann?
Sie beendete das Gespräch und ging die Bestellformulare durch, die sie bei dem Meeting gestern zusammengestellt hatte. Die Herbstpflanzsaison war im Gange, und so hatte der Mann für Bäume und Gebüsche in Snow Hill eine Liste. Ihr Verantwortlicher für Veranstaltungen hatte drei neue Hochzeiten und zwei Taufen gebucht, und der Laden bereitete sich auf die Eröffnung des Kranzraums im Oktober vor, was alles besondere Bestellungen erforderte. Und dann war da noch Liz Tocci, die angestellte Landschaftsgärtnerin und eine völlige Nervensäge, die – wieder mal – um einen Lieferanten bettelte, der gewisse Elite-Proteapflanzen führte, der jedoch, wie Molly aus Erfahrung wusste, überteuert und unzuverlässig war.
Molly liebte Proteas auch. Sie waren exotische
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