Im Schatten meiner Schwester. Roman
Stimmung.«
»Das ist das Warten«, meinte Molly. Sie lächelte Erin traurig an und kehrte in ihr Büro zurück. Es war so wahr. Das Warten war am schlimmsten. Alle paar Minuten blickte sie auf die Uhr, während sie die unmittelbaren Bestellungen beendete, dann versuchte sie, Charlie am Handy zu erreichen, doch es war ausgeschaltet. Sie sagte Kathryns Termine ab. Wieder waren zehn Minuten vorbei. Sie studierte mehrere Ausgaben von
Grow How
, überlegte, was man in der Januarausgabe schreiben könnte, doch ihr Geist wollte sich nicht konzentrieren.
Schließlich ging sie ins Gewächshaus. Auf dem Weg dorthin wurde sie von Snow-Hill-Angestellten, die ihre Sorge wegen Robin äußerten, angehalten, und sie konnte nun leichter darüber reden. Was für ein Unterschied zu Liz ist ihre Aufrichtigkeit, dachte sie mehr als einmal.
Im Gewächshaus gab es einige Kunden. Molly kannte jede Ecke. Sie ließ sich auf einer Bank hinter einer Palme nieder, wo sie ganz still saß, damit man sie nicht sah.
Doch sie konnte hinaussehen. Eine Kundin füllte ihren Einkaufswagen mit Schattenpflanzen, eine andere lief zwischen diesen und den Gloxinien an der gegenüberliegenden Wand hin und her. Letztere waren echte Schönheiten, ihre samtigen Blüten leuchteten in lebhaften Rosaschattierungen und fielen viel mehr ins Auge. Auch wenn ihnen das Aufsehenerregende einer Blume fehlte, so waren sie doch immerhin langlebig. Zumindest war das bei den meisten Schattenpflanzen so, und in dieser Hinsicht waren sie echt unterbewertet. Sie liebte es, wenn man ihnen Aufmerksamkeit schenkte.
Einkaufswagen ratterten Richtung Kasse, so dass die Gänge kurzzeitig ruhig waren. Entfernte kleine Ausbrüche waren von den Sprinklern im Gebüschhof zu hören und noch weiter entfernt das Rumpeln eines Bulldozers, der einen mit Sackleinwand umwickelten Baum anhob. Hier im Gewächshaus jedoch war es still.
Molly liebte diese Augenblicke. Robin jedoch nicht. Robin war ein Aktionstyp. Sie brauchte Bewegung.
Doch Molly sah Bewegung in den Pflanzen, wenn der Bogen der Sonne sich verlagerte. Sie sah Bewegung in dem Wechsel der Jahreszeiten und dem entsprechenden Lebenszyklus ihrer Pflanzen. Robin war nur dem Namen nach eine Neuengländerin, die die Jahreszeiten von Forsythien bis Rosen, von Herbstlaub bis Schnee einteilte. Die Veränderungen, die Molly erkannte, gingen weit darüber hinaus.
Nein, Robin hätte bei Liz nicht die Fassung verloren. Vielleicht aber war der Grund der, dass sie Snow Hill nicht so liebte wie Molly.
[home]
9
S elbst elf Stunden nachdem er Molly gesehen hatte, war Nick noch wie betäubt. Er hatte von Anfang an gewusst, dass Robins Zustand ernst war. Sein Polizeikontakt hatte ihm das erzählt. Doch er hatte eine Art von Heilung erwartet, zum Beispiel eine Operation oder Medikamente. Ihm war es egal, ob Robin das Laufen aufgeben musste. Wenn sie nicht laufen konnte, würde sie nicht so viel reisen, was den Reiz für einen Typen aus der Gegend nur erhöhen würde.
Nicht, dass er plante, lange in der Gegend zu bleiben. Er würde nicht den gleichen Fehler wie seine Eltern machen. Sie waren brillant und völlig unbekannt – Henry Dukette ein Schriftsteller und Denise Dukette eine Dichterin. Jedes Mal, wenn Nick ihre Werke las, fragte er sich, warum die Welt nicht aufstand und sie bemerkte. Doch Henry hatte für die Autobahnverwaltung arbeiten müssen, um seine Familie zu ernähren, und er hatte sich nie deshalb beschwert. Er sagte, dass er seine Ideen daher bekam, dass er die Leute in der Stadt sah. Nick erkannte den Sinn von Ideen nicht, wenn sie nirgends hinführten.
Er schwor sich, sich zu verändern, sobald er sich einen Namen gemacht hätte. Arbeit bei der Zeitung war einen Schritt weit weg vom Bücherverlegen, und bei diesem wiederum ging es nur darum, wen man kannte. Es würde die Zeit kommen, da würde er die Welt dazu bringen, dass sie die Werke seiner Eltern las.
Es ging nicht ums Geld. Sein älterer Bruder hatte es zu Geld in der Wall Street gebracht, und selbst nachdem er sich um seine eigene Familie gekümmert hatte, hatte er noch reichlich für Henry und Denise übrig. Er hatte ihnen eine Eigentumswohnung nicht weit vom College in Plymouth gekauft, wo Denise Dichtkunst lehrte, und hatte in ihrem Namen genug investiert, dass sie es sich leisten konnten, bequem von den Zinsen zu leben. Doch Henry wollte nichts von Rente hören. Er behauptete, er sei zu jung dafür, dass er gerne aktiv sei und sich bewege. Nick wollte, dass er
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