Im Schatten meiner Schwester. Roman
fühlten sich nur komisch an. Ich wünschte, Sie hätten nicht mit ihm gesprochen, Mister Harris. Er war wütend auf mich.«
Weil sie Schwäche zeigte?, wollte David fragen. Weil sie ein Problem hatte? O Junge, wie konnte er das nachempfinden. Er war in einer Familie aufgewachsen, in der Leistung wichtig war. Sein Herz krampfte sich zusammen, wenn er Alexis nur ansah.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Aber du bereitest mir eben Sorgen.«
»Mir geht es total gut«, beharrte sie und sammelte ihre Bücher zusammen. »Ich esse einen Haufen. Mehr als genug. Und ich bin nicht dünner als die anderen. Sie wissen nur nicht, wie das mit dem Tanzen ist.«
»Ich nehme an, das stimmt«, gab er zu und trat zurück.
Sie schaffte es, aufzustehen und den Weg zur Tür hinter sich zu bringen, bevor sie zusammenbrach. Als er bei ihr war, schlug sie die Augen auf. Sie hob den Kopf, als er sich hinkniete, ließ ihn dann aber wieder zu Boden fallen. »Ich fühle mich seltsam«, flüsterte sie.
Er schob die Bücher von ihr herunter, hielt sie an einer Hand, damit sie sich nicht bewegte, und streckte die Hand nach dem Telefon an der Wand aus. Er hatte den Anruf kaum beendet, als sie wieder aufzustehen versuchte. Sie schaffte es bis zu einem Ellbogen, bevor sie erneut hinfiel.
»Ich bin okay, ich bin okay«, hauchte sie.
Erschrocken hockte sich David hin. Er wollte sie trösten, indem er ihre Hand nahm, doch das kam nicht in Frage. Sexuelle Belästigung? Er hasste es. Wie wäre es mit etwas grundsätzlicher menschlicher Wärme?
Da ihm nichts übrigblieb als eine besänftigende Stimme, sagte er: »Die Schwester wird gleich hier sein.«
»O nein«, jammerte sie schwach, »nicht die Schwester. Sie wird es meinem Vater sagen.« Als sie versuchte, sich wegzurollen, hielt David zur Sicherheit ihre Schulter fest. Er konnte es nicht zulassen, dass sie aufstand. »Sie verstehen nicht.«
Ihre Augen waren dunkel und voller Kummer. »Ich bin eine gute Tänzerin. Es ist alles in Ordnung. Vielleicht habe ich es gestern übertrieben. Oder vielleicht ist es die Schule, die mich erschöpft.«
»Es könnte nicht schaden, das zu untersuchen«, schlug er vor.
»Doch. Sie werden eine Ewigkeit brauchen. Ich kann das Training nicht verpassen.«
»Gut, Alexis«, sagte die Schwester, die hereinrauschte und übernahm.
Aber als David zurücktrat, schien Alexis fast in Panik zu geraten. »Gehen Sie nicht, Mister Harris«, bettelte sie ihn an. »Sie können es ihnen sagen. Mir ging es im Unterricht doch gut. Oder nicht? Dann hat mich was getroffen. Vielleicht die Grippe?«, fragte sie die Schwester, doch die maß ihren Puls.
»Schwach«, bemerkte sie besorgt. »Du gehst ins Krankenhaus.«
»Neiiin …«
»Dein Dad ist in Concord, deine Mom ist bei Gericht. Ich habe Nachrichten hinterlassen. Einer von ihnen wird uns im Dickenson-May treffen.« Sie sah David an, als die Sanitäter eintrafen, und flüsterte leise: »Eine Katastrophe, die uns da erwartet.«
David ging zur Ambulanz. Er hatte sowieso Mittagspause und stand nicht auf dem Plan für den Nachmittag, außer dass er die Hausaufgaben überwachen musste, was auch eine Aushilfe erledigen konnte. Nicht, dass er scharf darauf war, im Krankenhaus auf Wayne Ackerman zu treffen, doch als die Schwester gerade einsteigen wollte, zeigte Alexis auf David. »Sie. Bitte.«
Ihm wäre vielleicht eine Ausrede eingefallen, wenn da nicht Robin Snow gewesen wäre. Er bereute es, sie allein losgeschickt zu haben. Wenn es während der Fahrt noch Hirnaktivität gegeben hatte, hätte er dabei sein sollen. Ja, es war eine Frage von grundsätzlicher menschlicher Wärme.
Mit zwei Sanitätern, die während der Fahrt das Mädchen einrahmten, saß er im Krankenwagen zu ihren Füßen. Er lächelte beruhigend, als sie zu ihm hinschaute, obwohl ihre Augen die meiste Zeit geschlossen waren. Als sein Handy vibrierte, zog er es hervor, sah aufs Display und steckte es zurück. Er kannte keinen Dukette, Nicholas. Der Mann hatte es schon vorher versucht, aber keine Nachricht hinterlassen.
Als die Ambulanz vor dem Dickenson-May vorfuhr, war David als Erster draußen. Doch mit den Augen eines verängstigten Kindes vergewisserte sich Alexis, dass er da war, weshalb er neben ihr ging, als sie sie hineinrollten. In Vertretung ihrer Eltern, die immer noch nicht gekommen waren, erzählte er dem Arzt, was gestern und heute geschehen war.
Dann setzte er sich ins Wartezimmer. Es waren nur noch zwei andere Patienten da; das Dickenson-May war
Weitere Kostenlose Bücher