Im Schatten von Montmartre
etwas
rauskriege, informiere ich Sie. Wo kann ich Sie erreichen?“
„Rue de Coulmiers 25. Telefon hab ich nicht.
Schreiben Sie mir. Brief oder Rohrpost.“
Rue de Coulmiers, 14. Arrondissement. Ich mußte
wieder an Prunier denken. Falls ich überhaupt aufgehört hatte, an ihn zu
denken... Ich notierte die Adresse auf der Rückseite der Visitenkarte, und
Raphanel stand auf. Ich brachte ihn bis zum Aufzug. Und dort, als wir uns
voneinander verabschiedeten, bemerkte ich ein seltsames Funkeln in seinen
Augen. Es war der Blick eines Menschen, der sich plötzlich fragt, ob er nicht
gerade dabei ist, eine Riesendummheit zu begehen.
Der Aufzug brachte meinen neuen Klienten nach
unten. „Welchen Eindruck hat Raphanel auf Sie gemacht?“ fragte ich Hélène in
ihrem Büro.
„Sympathisch, aber ein wenig träge. Was wollte
er denn? Über die Jadefiguren verhandeln?“
Ich erklärte meiner Sekretärin, was dieser
Raphanel von mir wollte, und auch sie dachte sofort an Prunier, sagte dann
aber: „Der Zusammenhang, den wir beide herstellen, ist doch wohl völlig aus der
Luft gegriffen, oder?“
„Warum? Ist denn nicht erstaunlich, daß
ausgerechnet nach dem Tod von Emile Prunier, der den Artikel nicht hatte, aber
vielleicht gehabt hatte , jemand zu mir kommt und mir genau diesen
Artikel unter die Nase hält? Vergessen Sie nicht den bösen Streich, den man in
der Rue des Mariniers gespielt hat. Es ist schiefgegangen, einverstanden. Ein
Grund mehr vielleicht, es noch einmal zu versuchen, in einer anderen Form.“
„Trotzdem!“ beharrte Hélène. „Was soll Simone
Coulon damit zu tun haben? Unseren Überlegungen zufolge...“
„Unseren Überlegungen zufolge haben wir uns auf
der ganzen Linie geirrt, davon bin ich überzeugt. Jedenfalls bezahlt mich der
Junge dafür, daß ich den Ursprung dieses Fotos herausfinde. Wenn mich das zu
Prunier führt, würde mich das nicht sonderlich überraschen.“
Mir kam eine Idee. Ich ließ Hélène mit unseren
Überlegungen alleine und ging in mein Büro zurück, um das „Telefonbuch nach
Straßen“ zu konsultieren. Coulmiers 25. Zwei Mieter des Hauses hatten Telefon.
Ein Mann namens Tanguy und eine Frau namens Suzanne Larcher. Ich wählte Tanguys
Nummer. Nichts. Ich ging zu Suzanne Larcher über. Beinahe sofort wurde
abgenommen, und eine Frau meldete sich. Eine Frau, die offensichtlich getrunken
hatte, was unangenehme Erinnerungen an die versoffene Stimme in jener besagten
Nacht in mir hervorrief. Eine Frauenstimme also meldete sich:
„Hier Leichenschauhaus. Ja, bitte?“
Sehr witzig. Ich stellte mich auf ihren
Gesprächston ein: „Haha! Deswegen haben Sie bestimmt eine so lebendige Stimme?“
„Nein. Deswegen ist meine Stimme so mitgenommen.
Hört sich gut an, was? Und davon abgesehen, wer ist am Apparat?“
„Dalor.“
„Dalor? Kenn ich nicht. Was wollen Sie?“
„Mit Raphanel sprechen.“
„‘n bißchen spät, finden Sie nicht?“ lachte Miss
Suzanne Kater. „Er ist tot.“
„Er ist... was?“
Ich hielt den Hörer einen halben Meter von mir
weg und starrte ihn an, als hätte er versucht, mich zu beißen.
„Er ist tot, sagen Sie? Seit wann?“
„Seit... äh... Warten Sie, ich werd’s Ihnen
genau sagen.“ Sie knallte den Hörer auf den Tisch. Gleichzeitig warf sie wohl
eine Flasche auf den Boden, denn ich hörte ein Geräusch, so als ginge Glas zu
Bruch. Ein Schwall von Flüchen begleitete den Verlust des Gurgelwassers. Nach
einer Weile meldete sich wieder die Frauenstimme:
„Hallo! Hier Leichen...“
„Ja, ich weiß“, sagte ich. „Und?“
„Wegen Ihnen hab ich eine Flasche
kaputtgeschmissen!“
„Ich kauf Ihnen ‘ne neue.“
„Ach, nicht nötig, sie war fast leer, und ich
hab noch mehr davon... 1520“, ergänzte sie.
„Na, dann werden Sie ja nicht verdursten!“
„1520 ist nicht die Anzahl der Flaschen, sondern
das Datum. Das Todesdatum. Er ist im Jahre 1520 gestorben.“
„Sagen Sie, wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“
„Keineswegs! Das stand im Larousse... Raffael ist 1520 gestorben.“
„Raff... Ach, Sie sprechen von dem Maler!
Scheiße, wer hat denn was von Raffael gesagt?“
„Na, Sie natürlich!“
„,Raphanel“ hab ich gesagt. Nicht Raffael. Ra-pha-n-el, Etienne
Raphanel.“
„Entschuldigen Sie, ich hatte Raffael
verstanden. Ein Raphanel wohnt hier nicht, M’sieur. Ich bin Suzy Larcher,
verkannte Künstlerin, das Leichenschauhaus der Illusionen.“
„Ach so. Und im Haus? Sie sind doch nicht die
einzige
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