Im Schloss unserer Liebe
es an deinem weiten Pulli.“
Sie blickte an sich herunter. Das formlose, ausgewaschene Ding sah schrecklich aus. Sie hatte es vor Jahren im Schlussverkauf erstanden und es der Bequemlichkeit wegen im Haus getragen. Wahrscheinlich hatte es sogar schon Löcher.
„Wer weiß, was geschehen wird, wenn ich dich jemals ohne diesen Pulli sehe“, bekannte er. „Er regt meine Fantasie an. Ständig frage ich mich, was du darunter trägst.“ Er schüttelte den Kopf. „So etwas macht einen Mann verrückt. Ich sollte jetzt unter die kalte Dusche gehen. Du entschuldigst mich bitte …“
„Dann wirst du mich also nicht mehr küssen?“, flüsterte sie enttäuscht.
„Wenn du dabei doch nur an Kass denkst? Nein, ich werde mich zurückhalten.“ Er erhob sich und ließ sie mit ihrem Sandwich allein.
Von da an arbeitete jeder für sich, und beide vermieden es, einander zu begegnen.
Kelly sah darin eine gute Gelegenheit, ihren Sohn besser kennenzulernen. Matty schien es zu gefallen, jetzt eine Mutter zu haben. Zwar war er enttäuscht, dass sie seine größte Leidenschaft, das Reiten, nicht teilte, aber sonst …
Brav erledigte er seine Pflichten als Vorschulkind, nahm weiterhin Lektionen bei Crater und hielt pünktlich die Mahlzeiten ein, fand aber zwischendurch immer Gelegenheiten, um zu seiner Mutter nach oben zu stürmen, ihr Neuigkeiten zu berichten und sie in sein Leben einzubeziehen. Ganz selbstverständlich bewegte er sich in ihren Räumen.
Kelly fühlte sich beschenkt durch dieses Kind. Und als Matty sie nach einer Woche fragte, ob sie nun täglich mit ihm spazieren gehen wolle, weil Ellen die Beine wehtaten, willigte Kelly freudig ein.
So verbrachte sie bald regelmäßig Zeit mit ihrem Sohn. Doch am Leben im Schloss nahm sie nur noch selten teil.
Wenn sich hin und wieder ihr Gewissen regte, weil sie Rafael alle Pflichten überließ, zählte sie sich die Gründe für ihren Rückzug auf. Am schwersten wog die Angst, die ihr die Gefühle für ihn einjagten.
„Warum magst du Onkel Rafael nicht leiden?“, fragte Matty sie eines Tages während des nachmittäglichen Spaziergangs im Wald.
„Ich habe nichts gegen ihn.“
„Aber du warst noch nie in seinem Kerker.“
„Er hat mich nicht eingeladen.“
„Doch. Am Tag, als das Spielzeug hier ankam. Weißt du noch? Du solltest dir das Spielzeug anschauen, Mama. Onkel Rafael arbeitet an einer neuen Basis für Raumschiffe. Er will mir den Prop … den Proptyp schenken.“
„Den Prototyp?“
„Genau.“ Matty sah sie bittend an. „Kommst du und schaust ihn dir an?“
„Onkel Rafael hat bestimmt keine Zeit für Besucher.“
„Doch.“ Er nahm sie bei der Hand. „Er möchte dir den …
Prototyp zeigen. Wollen wir ihn uns nach dem Spaziergang ansehen?“ Wie sollte sie ihrem Sohn erklären, dass es Grenzen für sie gab? Er schaute zu ihr hoch. „Onkel Rafael ist sehr nett. Wirklich.“
„Das weiß ich doch.“
„Vielleicht schenkt er dir sogar etwas.“
„Ich bin zu alt dafür.“
„Er macht auch Spielzeug für alte Kinder. Das weiß ich aus dem Internet. Tante Laura und ich haben ins Internet geschaut. Da steht, Robokraft ist für Kinder zwischen fünf und hundertfünf Jahren. Wie alt bist du, Mama?“
„Neunundzwanzig.“
„Dann hat er etwas für dich“, jubelte Matty. „Mama, schau mal, da ist ein Reh.“
Rafael fiel es schwer, sich zu konzentrieren. Er wurde ständig gestört.
In Manhattan hatte Anna vieles von ihm ferngehalten. Und wenn er gestört wurde, hatte es etwas mit seiner Arbeit als Spielzeugerfinder zu tun. Aber hier erforderte ein zweiter Beruf seine Aufmerksamkeit.
Er war dabei, eine neue Basis zu entwickeln. Bis zum Ende des Monats musste sie fertig sein, damit sie in die Weihnachtsproduktion aufgenommen werden konnte.
Heute war Matty dreimal hereingeplatzt, Crater hatte ihn zweimal wegen der Finanzen aufgesucht, und eben hatte der Stadtrat ihm eine lange Mängelliste überreicht und wollte nun wegen der Befestigung des vom Abrutsch bedrohten Abhangs oberhalb des Ortes mit ihm diskutieren.
Gedankenverloren trat er an das einzige und winzige Fenster am Ende des Verlieses und sah gerade noch, wie Matty und Kelly im Wald verschwanden. Eine unbändige Lust, ihnen zu folgen, überkam ihn.
Als ob er für Spaziergänge Zeit hätte!
Er musste sich konzentrieren.
„Manche drängen zur Eile. Aber vielleicht sollten wir den Schaden erst von Experten begutachten und einschätzen lassen“, schlug der Stadtrat vor. „Wir
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