Im Sog der Sinnlichkeit
so wild, als wolle es ihr im nächsten Moment aus der Brust springen. Sie zitterte am ganzen Körper, ihre Knie waren weich, und sie hätte ihn am liebsten geohrfeigt.
„Wie können Sie es wagen?“, stieß sie mühsam hervor und wünschte, kühl und unbeteiligt zu klingen, was ihr nicht gelang.
Er stieß einen tiefen Seufzer aus, und sie stellte sich vor, wie er seine grünen Augen zusammenkniff und seinen Mund zu einem spöttischen Lächeln verzog. Dieser Mund, der sie so heiß geküsst hatte, wie sie nie zuvor geküsst worden war. Dieser Kuss, der sich intimer angefühlt hatte als jede Liebkosung ihres Gemahls, wenn sie im Bett unter ihm lag, mit abgewandtem Gesicht, das Nachthemd bis zu den Hüften hochgeschoben. Sie fühlte sich benutzt. Sie fühlte sich überfallen. Sie fühlte sich … überwältigt.
Er lehnte die Stirn gegen die ihre und seufzte wieder. „Das ist der Punkt, meine entzückende Lady Carstairs. Sie erkennen nicht einmal, wenn es ein Mann darauf anlegt, Sie zu verführen. Sie sollten nicht länger als naive Unschuld durchs Leben gehen. Das ist zu gefährlich. Irgendein großer böser Wolf wird Sie sich schnappen und Sie verschlingen.“
Sie stieß wütend den Atem aus. „Und Sie sind dieser große böse Wolf … und wollen diesen Akt der Barmherzigkeit vollziehen?“
Er schwieg einen Moment. „Und wenn es so wäre? Sind Sie tatsächlich so unschuldig, um zu glauben, es würde aus Barmherzigkeit geschehen?“
Sie ballte die Fäuste, verzweifelt um Fassung ringend. „Ich habe keine Ahnung, Lord Rohan, da ich in Sachen männlicher Verführungskunst nicht bewandert bin.“
Sie wusste nicht, ob der Laut, den er von sich gab, unterdrücktes Lachen oder ein Ausdruck seiner Ungeduld war. „Es war Ihr Vorschlag, dieses Boudoir zu betreten, meine Liebe. Und ich vermutete, Sie seien bereit, Sinnesfreuden kennenzulernen.“
„Ich kenne andere Sinnesfreuden. Eine Frühlingsbrise, den Genuss von Süßigkeiten, mit einer Katze spielen, die Hand eines Kindes halten.“
„Ich weiß, dass Sie Süßigkeiten lieben“, sagte er. „Und Sie küssen gern.“
„Tu ich nicht.“
„Soll ich es Ihnen noch einmal beweisen?“
„Nein!“
Er entfernte sich in der Dunkelheit, und sie fühlte sich plötzlich verlassen. Sie sah schemenhaft seinen Schatten in der Dunkelheit. Gottlob war sie nicht mehr in Gefahr, von ihm berührt zu werden, und atmete erleichtert auf. Aber was bedeutete dieser unvermutete Stich im Herzen? Bedauern? Enttäuschung? Nein, Freiheit.
„Ich möchte gehen“, erklärte sie mit Bestimmtheit.
„Nun, mein Schatz, das ist nicht möglich“, erwiderte er kühl. „Ich sagte bereits, mein Ruf als Liebhaber steht auf dem Spiel. Wir verlassen dieses Zimmer erst, wenn genügend Zeit verstrichen ist, um den Anschein zu erwecken, dass ich es ausgiebig mit Ihnen getrieben habe. Das würde meiner Schätzung nach etwa fünfundvierzig Minuten dauern. Sie könnten sich setzen und mir erzählen, warum Sie mich hierher verschleppt haben. Nicht, dass ich Ihnen daraus einen Vorwurf mache. Wenn die Elsmeres und ihresgleichen der Meinung sind, die Heilige der King Street sei so sehr von mir berauscht, dass sie es keinen Abend aushält, ohne mich zwischen ihren Schenkeln zu haben, kommt das lediglich meiner Reputation zugute. Wenn wir uns wieder unter die Gäste mischen, müssen Sie ermattet, verträumt und ein wenig zerknittert wirken.“
„Müssen Sie so direkt sein?“
„Ach, süße Charity.“
„Hören Sie auf, mich so zu nennen!“ Ihre Gelassenheit schien ihr völlig abhanden gekommen zu sein.
„Süße Lady Charity? Das ist mir zu formell. Und Melisande klingt wie der Name eine Märtyrerin aus dem Mittelalter. Wurden Sie nie mit einem Kosenamen gerufen?“
„Nein. Selbst wenn, würde ich Ihnen nicht gestatten, mich so zu nennen“, entgegnete sie und stieß sich von der Wand ab. Er hatte seine gefährlichen Verführungsversuche aufgegeben und war lediglich Viscount Rohan, der versprochen hatte, ihr zu helfen. Sie näherte sich mit zitternden Knien der Sitzgelegenheit im dunklen Zimmer, ohne zu wissen, was es war, und fragte sich, wieso er sie in den Armen gehalten und geküsst und dann so plötzlich von ihr abgelassen hatte.
Worüber sie natürlich erleichtert war. Sie wünschte sich keine Berührung seiner Hände, seines Mundes. Aber warum hatte er es getan? Um ihr eine Lektion zu erteilen? Um ihr zu beweisen, wie naiv sie war, was für ein erbärmliches Unschuldslamm?
Wie gut,
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