Im Sommer der Sturme
seinem Vater so ähnlich. »Paul«, begann sie und ertrug sogar das ärgerliche Stirnrunzeln, als er seinen Blick von der Zeitschrift hob. »Ich weiß, dass du mich nicht ausstehen kannst.«
Er wollte widersprechen, aber sie winkte ab. »Bitte, erlaube, dass ich sage, was ich sagen möchte. Danach kannst du dann antworten.«
Paul beugte sich aufmerksam nach vorn.
»Ich habe gemerkt, dass du mit der Hochzeit deines Vaters nicht einverstanden warst. Aber ich möchte ihn glücklich machen. Wirklich glücklich. Ich liebe ihn schon sehr lange.«
»Seit ich ein kleiner Junge war«, sagte er.
»Das stimmt. Aber damals war ich nicht frei, um ihn zu heiraten.« Zerknirscht nagte sie an ihrer Unterlippe. »Verurteile mich nicht zu hart, Paul. Thomas Ward, Gott schenke seiner Seele Frieden, war ein guter Mann, und ich habe ihn geliebt. Aber ich habe ihn nie so sehr geliebt wie deinen Vater.«
»Und?«
»Ich hoffe sehr, dass wir beide zu einer Übereinkunft kommen können.«
»Zu welcher Art von Übereinkunft?«
»Ich mag dich, Paul. Als ich noch jung war und öfter zu Besuch kam, warst du immer höflich, immer respektvoll – so ganz anders als dein Bruder.« Sie rümpfte ein wenig die Nase und schwieg einen Moment. »Ich freue mich, dass dein Vater mich in diese Pläne einbezogen hat, und es würde mich noch mehr freuen, wenn sein Projekt deine kühnsten Träume noch in den Schatten stellte. Doch am allerwichtigsten ist mir, dass du mit meiner Hilfe einverstanden bist.«
»Mir ist jede Anstrengung willkommen, die zum Erfolg der Aktion beiträgt, Agatha. Ich bin froh, dass mein Vater wieder Pläne schmiedet. Und wenn diese Einladung den Anlass dazu bietet, umso besser. Ebenso froh bin ich, wenn Sie ihm aus seiner augenblicklichen Lage heraushelfen.«
»Ich danke dir, Paul.« Ihr Lächeln war geradezu … liebenswert. »Ich bin überzeugt, dass du deinen Weg machst. Ein so gut aussehender junger Mann wie du …« Sie ließ den Satz unvollendet … Schließlich erhob sie sich und wünschte ihm eine gute Nacht.
Zum zweiten Mal an diesem Tag war Paul verblüfft und sprachlos.
9
Freitag, 18. August 1837
Um neun Uhr am Abend schliefen die Kinder tief und fest, und Charmaine hatte endlich Zeit für sich selbst. In den Wohnraum mochte sie nicht gehen, weil Agatha und Rose dort regelmäßig ihre Abende verbrachten. Agatha schikanierte sie zwar nicht mehr, aber Charmaine mied die Frau trotzdem, wann immer es möglich war. Kurz entschlossen klingelte sie nach Millie, weil sie ein Bad nehmen wollte.
Eine Stunde später saß sie frisch gebadet an ihrem Frisiertisch und versuchte, die feuchten Haare zu entwirren. »Sie sind einfach zu lockig«, schimpfte sie, legte den Kamm zur Seite und griff nach der Bürste. Aber besser wurde es davon nicht. Irgendwann segelte die Bürste durch die Luft, prallte gegen die Tür und blieb auf dem Fußboden liegen. Stattdessen angelte Charmaine die Schere aus ihrem Nähzeug. In der feuchten Luft würde es Stunden dauern, bis ihre Haare trockneten. Besser, sie schnitt sie einfach ab. Aber auch diesmal rang sie längere Zeit mit sich und konnte sich nicht dazu aufraffen. Schließlich stand sie auf und trat an die offenen Glastüren. Dort stand sie lange Zeit, fuhr sich, in Gedanken versunken, mit den Fingern durchs Haar und spürte, wie der laue Abendwind die Strähnen trocknete.
Unter ihr auf der Veranda waren plötzlich Schritte zu hören. Es war Paul, der zum Stall hinüberging. Sie runzelte die Stirn. Heute lief nichts wie gedacht. Wenn sie gewusst hätte, dass Paul zu Hause war, hätte sie Agathas Missfallen liebend gern in Kauf genommen, nur um in seiner Nähe zu sein.
Sie schüttelte diesen Gedanken schnell wieder ab. Wäh rend der letzten beiden Monate hatte sie ein ständiges Wechselbad der Gefühle erlebt. Pauls Anwesenheit verursachte ihr Herzklopfen, aber er hielt immer ein wenig Abstand. Er schäkerte zwar mit ihr und ließ sie spüren, dass er sie bezaubernd fand, aber zu zärtlichem Geflüster ließ er sich nicht hinreißen. Er hatte ihre Welt vollkommen auf den Kopf gestellt, und ihr behagte es ganz und gar nicht, dass ihre Selbstsicherheit verflogen und sie ständig verlegen war und sich unsicher fühlte.
Ein Geräusch jenseits der großen Wiese riss sie aus ihren Gedanken. Sie sah zur Koppel hinüber. Paul kam aus dem Stall und ging zurück zum Haus. Also hatte er gar nicht ausreiten wollen, sondern nur nach Chastity gesehen, die demnächst ihr Fohlen bekommen sollte.
Sie
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