Im Sommer der Sturme
mit voller Wucht gegen das Gebäude. Heftige Böen trieben wahre Regenwände gegen die Glastüren, sodass sie vibrierten und klirrten. Grellweiße Blitze erhellten den Raum, ohrenbetäubender Donner antwortete. Charmaine kauerte unter der Decke und wartete zitternd auf den nächsten Schlag. Aber die Stille zwischen dem Donnergrollen machte ihr ebenso zu schaffen, zumal seltsame Geräusche an ihr Ohr drangen …
Am liebsten wollte sie das Rascheln gleich neben dem Bett gar nicht hören … aber die eiskalte, feuchte Hand, die nach ihrem Arm griff, war echt … Sie schrie gellend auf und schleuderte das Bettzeug von sich. Zum Glück wurde ihr Schrei vom Donner übertönt, denn neben ihrem Bett stand zitternd Jeannette. Yvette lehnte an der Tür zum Kinderzimmer und gähnte.
»Du lieber Himmel«, rief Charmaine und schlug sich die Hand aufs Herz. »Es tut mir leid, Jeannette, aber du hast mich zu Tode erschreckt!« Sie lachte ein bisschen laut, aber im nächsten Augenblick streckte sie dem erstarrten Kind die Arme entgegen.
Mit verächtlicher Miene kam Yvette zum Fuß des Betts. »Fürchten Sie sich vor dem Gewitter?«
Charmaine nickte und kam sich plötzlich ziemlich dumm vor. »Noch mehr als Jeannette.«
»Sie hat keine Angst vor dem Gewitter«, widersprach Yvette.
»Nein? Warum seid ihr dann hier?«
»Jemand hat sich über mein Bett gebeugt«, wimmerte Jeannette und zitterte in Charmaines Arm.
»Davon ist sie aufgewacht«, erklärte Yvette. »Sie glaubt mir nicht, dass Sie nach uns geschaut haben.«
Charmaine strich Jeannette die Haare aus dem Gesicht. »Yvette hat recht. Ich habe dich zugedeckt, meine Süße. Tut mir leid, wenn ich dich aufgeweckt habe.«
Verbissen schüttelte die Kleine den Kopf, und in den großen Augen stand noch immer die Angst. »Sie waren es aber nicht. Es war ein Geist. Als ich mich umgedreht habe, ist er weggerannt!«
Charmaine schloss Jeannette fester in die Arme. »Du hast sicher schlecht geträumt. Bei dem Sturm ist das auch kein Wunder. Kommt«, sagte sie und griff nach der Lampe, »marsch ins Bett mit euch beiden!«
»Aber ich habe nicht geträumt«, rief Jeannette. »Ich habe das Gespenst doch gesehen! Sie waren das nicht. Es ist auf den Balkon gerannt. Es ist bestimmt noch auf der Veranda und wartet auf mich!«
»Ich erlaube nicht, dass dir jemand etwas tut. Aber allein bin ich nicht mutig genug. Willst du mir helfen? Wir gehen jetzt zusammen in dein Zimmer. Dann kannst du sehen, dass niemand da ist und dass du keine Angst mehr haben musst. Einverstanden?«
Jeannette nickte und umklammerte Charmaines Hand. Als sie ins Kinderzimmer traten, wehte ihnen kalter Wind entgegen. Die französischen Türen standen weit offen und schwangen an den Angeln vor und zurück.
»Warum habt ihr sie denn nicht zugemacht?« Charmaine stellte die Lampe auf die Kommode. Aber als sie zur Tür lief und sich gegen den Regen duckte, erfasste sie plötzlich ein ungutes Gefühl. Starr vor Entsetzen warf sie die Türen zu und schob den Riegel an seinen Platz. Mit einem Satz sprang sie zurück und war sehr erleichtert, dass ihr kein Geist im Dunkel aufgelauert hatte.
Betroffen betrachtete sie den Schaden. Die Vorhänge und der Teppich waren durchweicht, aber das musste bis morgen warten. Sie nahm lediglich ein Handtuch aus der Kommode und wischte den Boden auf. Als Nächstes sah sie nach Pierre und wunderte sich, dass der Kleine trotz Sturm und offener Türen das Chaos schlicht verschlafen hatte.
»Wie du gesehen hast, war niemand auf dem Balkon«, sagte sie. »Ich vermute, dass dein Geist nichts weiter war als wehende Vorhänge, Jeannette. Außerdem steht dein Bett näher an der Glastür.«
Das Mädchen war nicht überzeugt und jammerte, dass ohne ein Schloss die Türen wieder aufgehen könnten.
»Ich weiß, was beim Einschlafen hilft«, sagte Char maine, um Jeannette von ihrer Furcht abzulenken. »Wie wäre es mit ein bisschen warmer Milch und ein paar Keksen? Na, los ins Bett mit euch.«
Jeannette nickte zwar, aber dann sprang sie schnell zu Yvette ins Bett. »Ich warte lieber hier«, flüsterte sie. Im nächsten Augenblick kuschelten die beiden Mädchen sich unter die Decke und kicherten leise.
Charmaine zog ihren Morgenmantel über und griff nach der Lampe. Aber Jeannette protestierte augenblicklich und wollte die Lampe behalten. Also zündete Charmaine eine kleine Kerze an. »Ich bin gleich wieder da.«
Im Korridor warf das flackernde Kerzenlicht groteske Schatten an die Wände und
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