Im Sommer der Sturme
sein, Jake! Es sieht mir ganz nach einem Gewitter aus, und es wäre eine Katastrophe, wenn der Tee dann noch nicht zusammengekehrt wäre. Es gibt eine Belohnung, wenn die Arbeit erledigt ist, bevor die ersten Tropfen fallen.«
Sofort machten sich die Männer ans Werk, und Paul kehrte mit zufriedener Miene an seine Arbeit zurück.
»Warum hat Jessie Rowlan Paul Duvoisin so be schimpft?«, drängte Charmaine wieder, als sie zusammen mit Gwendolyn nach Hause eilte.
»Wie denn?«
»Du weißt genau, welches Schimpfwort ich meine. Dein Onkel hat es auf unserer Überfahrt benutzt und wurde sehr verlegen, weil ich es gehört hatte. Es war sicher kein freundliches Wort. Warum erzählst du es mir nicht?«
»Da gibt es nichts zu erzählen.« Gwendolyn war sichtlich verlegen, weil sie das Wort eigentlich nicht kennen durfte. »Der Mann hat nur geflucht, und Paul wurde wütend.«
»Nein, es ging um mehr als nur das. Paul hat erst die Geduld verloren, als der Mann dieses Wort gesagt hat.« Als Gwendolyn noch immer kein Licht in die Angelegenheit bringen wollte, fügte Charmaine hinzu: »Geht es darum, dass Paul ein uneheliches Kind ist – dass er adoptiert wurde?«
»Woher weißt du denn das?«
»Mr. Wilkinson hat es erwähnt.«
»Hat er auch erwähnt, was die Leute in der Stadt so alles erzählen?«
»Er hat nicht getratscht, wenn du das meinst.«
Gwendolyn reckte die Nase in die Luft. »Genau deshalb möchte ich es auch nicht wiederholen.«
Das Leuchten in ihren Augen ließ ahnen, wie gern sie es trotzdem erzählen würde. »Es geht nicht weiter als bis in meine Ohren, falls dich das beruhigt.«
»Nun gut.« Gwendolyn zögerte und sah sich kurz um. »Die Leute behaupten, dass Paul Frederic Duvoisins Bastard ist«, flüsterte sie so leise, als ob der Wind Ohren hätte.
»Und was bedeutet das genau? Ist das nicht dasselbe wie ›unehelich‹?«
»Das schon, aber es ist trotzdem noch schlimmer! Es bedeutet, dass Paul der Affäre mit einer Hure entstammt. Eine anständige Frau hätte Frederic Duvoisin natürlich geheiratet. Angeblich wurde Paul als Baby auf die Insel gebracht, und Frederic hat ihn adoptiert, weil er genau wusste, dass er der Vater ist.«
Charmaines Herz war von Mitgefühl für Paul Duvoisin erfüllt. Der Mann war reich, sah blendend aus und war allem Anschein nach ein ehrenhafter Mann, und doch musste er die üblen Bemerkungen der Lästermäuler aushalten.
Ein Wolkenbruch beendete ihre Gedanken.
»Rasch, Charmaine, wir werden sonst bis auf die Haut nass.«
Die Mädchen rannten durch die Straßen, so schnell ihre Beine sie trugen, aber das Villenviertel, das sich an die Stadt anschloss, war einfach zu weitläufig. Als sie endlich die Veranda der Brownings erreichten, waren sie völlig durchnässt.
»Du lieber Himmel«, rief Caroline erschrocken. »Sieh dich nur an, junge Lady. Das Kleid ist ruiniert!«
»Es tut mir leid, Mutter. Aber Charmaine und ich sind so schnell gerannt, wie wir konnten.«
» Was habt ihr gemacht?«
»Wir sind den ganzen Weg aus der Stadt bis hierher gerannt.«
»Ihr seid gerannt? Was werden meine Freundinnen nur denken!«
»Keine Sorge, Mrs. Browning«, versuchte Charmaine, die Wochen zu glätten, »in diesem Augenblick sind alle gerannt und haben irgendwo Schutz gesucht.«
»Ich sage nur dies: Gesittete junge Damen rennen in der Öffentlichkeit nicht, ganz gleich, ob es gewittert oder nicht! Was hätte wohl Colette Duvoisin gesagt, wenn sie euch so gesehen hätte?«
Loretta kam aus dem Wohnzimmer. »Vermutlich: ›Zwei kluge Mädchen, die bei Gewitter Schutz suchen und nicht wie vornehme Ladys mit klatschnassen Kleidern durch die Stadt schleichen, bis sie womöglich noch vom Blitz getroffen werden‹.«
Caroline schnitt ein Gesicht, aber Loretta lächelte den Mädchen zu. »Na los, ab in euer Zimmer, und heraus aus den Kleidern, bevor ihr euch erkältet.«
Caroline schmollte noch bis zum Abendessen, bei dem endlich ihre wahren Ängste zur Sprache kamen. Sie liebte das Leben auf der Insel, doch sie fürchtete, dass ihre Tochter hier nie den nötigen gesellschaftlichen Umgang pflegen könnte, um eines Tages einen Ehemann zu finden. Loretta musste ihrer Schwester beipflichten, und noch bevor das Mahl zu Ende ging, war sie zum großen Missfallen der Mädchen sogar einverstanden, ihre Nichte bei ihrer Rückreise mit nach Virginia zu nehmen. Als sie die gesenkten Lider ihrer Nichte bemerkte, meinte sie: »Es wird dir in Richmond gefallen, Gwendolyn. Sieh die Reise
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