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Im Sommer der Sturme

Im Sommer der Sturme

Titel: Im Sommer der Sturme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gantt DeVa
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dagegen stand mit leicht gespreizten Beinen hinter ihrem Sessel, als ob er sich noch auf der Raven befände. Man hätte meinen können, dass er seine Stiefmutter vor unbekannten Gefahren schützen wollte. Seine dunklere Haut bildete einen lebhaften Kontrast zu ihrer eleganten Blässe, und wieder hielt Charmaine die beiden unwillkürlich für ein Paar.
    »Nun, Miss Ryan«, begann Colette, »wie gefällt Ihnen denn unsere Insel?«
    »Sie ist wunderschön«, antwortete Charmaine.
    In diesem Moment sah Colette sich selbst an Stelle des jungen Mädchens, durchlebte erneut ihre eigene Ankunft vor neun Jahren und verspürte das Entzücken, das sie beim Betreten genau dieses Raums erfasst hatte. Natürlich hatte sie sich damals nicht um eine Stelle als Gouvernante beworben. Im Gegenteil. Sie sollte Frederic Duvoisin zum ersten Mal treffen und einen guten Eindruck machen. Noch heute konnte sie ihren schnellen Puls und das Herzklopfen spüren, als Frederic sich zu ihr umgedreht und sie zum ersten Mal angesehen hatte. Sein gutes Aussehen hatte sie eingeschüchtert, und sein eindringlicher Blick hatte bis auf den Grund ihrer Seele geschaut und ihr den Atem geraubt. Ja, sie wusste sehr genau, wie man sich in Gegenwart der Duvoisins fühlte. Sie lächelte Charmaine zu. »Sie sind jetzt seit … seit drei Tagen hier?«
    »Vier«, verbesserte Charmaine. »Wir sind am Montag mit der Raven angekommen.«
    Dort habe ich sie also gesehen! Plötzlich war Paul das Gesicht der jungen Frau in Wilkinsons Kabine wieder gegenwärtig. Aber damals hatte sie das Haar offen getragen – lang und lockig. Aus diesem Grund hatte er sie auch nicht sofort wiedererkannt. Jetzt war ihm auch klar, wie sie auf Jonah Wilkinsons Schiff gekommen war. Sie war von Richmond aus hierhergereist. Ob John sie kannte? Hatte er sie vielleicht vor der Abfahrt auf dem Schiff getroffen? Aber nein, überlegte Paul. Wenn sie seinen Bruder kennengelernt hätte, würde sie jetzt nicht wie ein Kaninchen in der Falle vor ihm sitzen. Und doch. Vielleicht hatte John sie ja völlig verunsichert. Es ist eine Schande, dieses Haar aufgesteckt zu tragen … Die wirren Locken waren so hübsch.
    »… stimmt das nicht, Paul?«, fragte Colette.
    »Es tut mir leid. Was hast du gesagt?«
    »Mit den einsamen Stränden hat Miss Ryan den schönsten Teil von Charmantes bereits gesehen, nicht wahr?« Sie wandte sich um, damit sie ihn besser ansehen konnte.
    »Ja«, murmelte er nur.
    Charmaine erschauerte unter Pauls prüfendem Blick und fragte sich, ob sie ihn durch irgendetwas beleidigt hatte, weil er mit einem Mal so finster dreinsah. Sie war erleichtert, als plötzlich die Tür aufging, eine Frau eintrat und Pauls Aufmerksamkeit von ihr ablenkte.
    »Hallo, Agatha«, begrüßte Colette die Frau. »Komm her und lass dir unsere Gäste vorstellen.«
    Die Frau war nicht mehr ganz jung, aber in jeder Weise so aufrecht und eindrucksvoll wie Colette. Das schim mernde rötlichbraune Haar war sorgfältig zu einer bauschigen Frisur gekämmt, perfekte Brauen wölbten sich über stechend grünen Augen, und die gerade aristokratische Nase endete über einem ausdrucksvollen Mund. Mit herrischem Schritt trat sie näher und lächelte den Anwesenden freundlich zu.
    »Ich wusste gar nicht, dass du Gäste eingeladen hast«, bemerkte Agatha mit deutlichem britischem Akzent. »Hältst du das nach Roberts Rat von gestern für klug?«
    »Ich befolge Roberts Ratschläge durchaus, Agatha. Jedoch nur, wenn ich sie für vernünftig halte.«
    Statt einer Antwort läutete Agatha und bestellte als Erfrischung eine Karaffe mit Limonade.
    Als sie einander vorgestellt wurden, erfuhr Charmaine, dass Agatha Blackford Ward die Schwester von Frederic Duvoisins erster Frau Elizabeth war. Nachdem sie vor kurzem Witwe geworden war, hatte sie sich für immer auf Charmantes niedergelassen, um ihrem Zwillingsbruder Robert Blackford nahe zu sein. Robert Blackford war Agathas einziger lebender Verwandter und außerdem der einzige Arzt auf der Insel.
    »Miss Ryan bewirbt sich um die Stellung als Gouvernante«, vollendete Colette ihre Erklärung.
    Agathas anfängliche Höflichkeit schwand. »Ach, wirklich? Sie scheint mir sehr jung zu sein.«
    Paul räusperte sich. »Soweit ich weiß, führt Colette dieses Gespräch, Agatha. Also sollte sie auch die Fragen stellen, nicht wahr?«
    Diese höfliche Zurechtweisung verblüffte Agatha, doch sie bewahrte Haltung, indem sie zur Tür ging und das Tablett mit der Limonade in Empfang nahm. Sie goss

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