Im Sommer der Sturme
Küche über sie beschwert hätte. Aber vielleicht bezog sich das auf gestern. Nach dem Vorfall in Pauls Zimmer letzte Woche halte ich es für das Klügste, dich sofort über alles ins Bild zu setzen. Yvette nutzt deine Abwesenheit gern aus.«
»Das haben wir bereits besprochen, Agatha. Sie ist noch ein Kind.«
»Umso besser sollte sie ihren Platz kennen. Wie soll sie denn zu einer anständigen jungen Lady heranwachsen, wenn man ihr alles durchgehen …«
»Du sprichst von meiner Tochter.«
»Und du verteidigst sie natürlich.« Agatha wurde energischer. »Ich will dich nicht beunruhigen, Colette, aber Yvette macht das jeden Tag. Nach Roberts Meinung ist Aufregung das Schlimmste für dich. Hör mir zu!« Sie hob die Hand, als Colette widersprechen wollte. »Yvettes Aufsässigkeit wird täglich schlimmer. Deine Schwäche und deine Unfähigkeit, ihr Grenzen zu setzen, hat dieses Benehmen gefördert. Aber das ist kein Grund, darüber hinwegzusehen. Als deine Freundin, deine Gesellschafterin, fühle ich mich verpflichtet, dich vor den Folgen zu warnen. Yvette braucht eine feste Hand, die ihr diese Unarten …«
»Es reicht, Agatha!« Colette funkelte sie an. »Du bist nur Gast im Haus meines Mannes.«
»O nein, ich betrachte mich eher als deine Freundin und Gesellschafterin.«
»Das ist deine Meinung, nicht meine. Für mich bist du ein Gast. Also merke dir eines: Ich liebe meine Kinder. Sieh dich vor, wenn es um sie geht, sonst widerrufe ich die großzügige Einladung meines Mannes. Hast du verstanden?«
»Aber nein, meine Liebe, du bist diejenige, die es nicht versteht. Dein Mann ist angesichts deiner schwachen Gesundheit verzweifelt und hat seine Bedenken nicht nur Robert, sondern auch mir gegenüber zum Ausdruck gebracht. Ihm zuliebe habe ich eingewilligt, auf Charmantes zu bleiben. Er hat mich gebeten, dir nicht nur jeden Wunsch zu erfüllen, sondern auch dafür zu sorgen, dass du den Anweisungen meines Bruders Folge leistest. Du siehst, du bist ganz ausdrücklich meiner Fürsorge anvertraut.« Sie lächelte triumphierend. »Sieh doch nicht so bekümmert drein, Colette. Frederic sorgt sich doch nur um dich – und um seine Kinder.«
Mutlos ließ Colette den Kopf sinken. Sie verstand nicht, dass Frederic ihr das antat. Allerdings wusste sie nur zu genau, welche Macht Agatha über ihn hatte. Deswegen hasste sie diese Person. Als Agatha den Raum verließ, floh Colette aus der erstickenden Atmosphäre hinaus auf den Balkon und hob ihr Gesicht, sodass die Regentropfen ihre Haut küssten und sich mit den Tränen mischten. Frederic – warum nur? Warum ziehst du diese Frau mir vor?
Colette konnte sich noch genau an die Nacht erinnern. Die Zwillinge waren damals gerade ein Jahr alt gewesen, und in all der Zeit seit ihrer Geburt hatte Frederic sie kein einziges Mal in die Arme geschlossen und geliebt. Es war ihre eigene Schuld. Er dachte, dass sie ihn hasste. Sie dachte, dass sie ihn hasste. Aber gleichzeitig liebte sie ihn, liebte ihn so sehr, dass es schmerzte und die Heftigkeit des Gefühls sie erschreckte, ja, lähmte. Dazu kam die Mahnung des Arztes, dass sie auf weitere Kinder verzichten sollten. Einige Tage zuvor war Agatha nach Charmantes gekommen – und das in Begleitung einiger Geschäftspartner ihres verstorbenen Vaters. Frederic trug sich damals mit der Absicht, ein neues Schiff mit Namen Destiny als Ergänzung seiner ständig wachsende Flotte in Auftrag zu geben, und die Männer waren angereist, um seine besonderen Wünsche an die Werft zu übermitteln und für den Bau des Schiffes zu sorgen. Ein jüngerer, gut aussehender Gentleman war von Colettes Jugend und Schönheit besonders begeistert, und es fiel ihr nicht schwer, ein wenig mit ihm zu flirten – und Frederic über den Tisch hinweg zu beobachten: Seine verkniffenen Lippen, die finsteren Brauen und seine kaum verhüllte Reizbarkeit – vielleicht war das ja das richtige Rezept, um ihn zu wecken und in ihre Arme zurückzuholen. Sie schenkte Frederic ein kokettes Lächeln, um ihn zu ermuntern. Doch später lief sie in ihrem Salon auf und ab und hatte Angst, dass sie womöglich die Grenzen überschritten hatte. Heute Abend würde er zu ihr kommen, dessen war sie sicher, aber war sie auch stark genug, um sich seinem Zorn zu stellen? Beim Gedanken an sein Liebesspiel raste ihr Puls, und ihr Herz hämmerte so laut, dass sie es hören konnte. Stunde um Stunde verging – aber Frederic kam nicht. In ihrer Enttäuschung fasste Colette den Entschluss, zu
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