Im Sommer der Sturme
Sie zwang sich zur Ruhe und sah ihm entgegen.
Er hinkte einige Schritte näher zu ihr. »Wie ich sehe, erwartest du einen Gast. Jemanden, den ich kenne?«
»Ich erwarte eine Frau, die ich als Gouvernante für die Kinder einstellen möchte.«
»Und wie heißt sie?«
»Charmaine Ryan.«
»Paul sagt, dass sie sehr jung ist. Und vermutlich noch etwas unerfahren.«
Colette wunderte sich. »Er hat das mit dir besprochen? Wie kann er das hinter meinem Rücken tun?«
»Dasselbe kann ich dich fragen, meine Liebe«, erwiderte er kühl. »Ich bin immerhin dein Mann und der Herr des Hauses. Im Grunde ist es nicht Pauls Aufgabe, mich über alles aufzuklären, was meine Kinder angeht, sondern deine. Oder ist das zu viel verlangt?«
»Nein, natürlich nicht«, flüsterte Colette. Sie sah zu Boden und kämpfte mit den Tränen.
Frederic vernahm das Zittern in ihrer Stimme sehr wohl und knirschte mit den Zähnen, als tiefe Abscheu vor sich selbst seinen Zorn verdrängte. »Erzähl mir von Miss Ryan«, bat er.
Colette nahm sich zusammen. »Miss Ryan kommt aus Richmond. Sie hat durch Harold Browning von unserer Suche erfahren. Seine Frau wiederum hat mit den Harringtons darüber gesprochen, bei denen Charmaine bisher drei Jahre lang beschäftigt war und wo sie auch Erfahrungen mit deren Enkelkindern gesammelt hat. Sie ist eine gebildete junge Frau und …«
»Du empfiehlst sie für diese Stellung«, fuhr er an ihrer Stelle fort.
»Ja, das tue ich«, murmelte Colette. Um ihre Position nicht gänzlich zu verlieren, setzte sie sich auf einen Stuhl, der einige Schritte weit von ihm entfernt stand.
Aber Frederic folgte ihr, sodass er sie auch weiterhin überragte. »Das klingt gut und schön, aber in meinen Augen macht es nicht den geringsten Sinn. Du, die du deine Kinder nie aus den Augen lässt, warum suchst du nach einer anderen Person für diese Aufgabe? Und erzähl mir nicht, dass die Bildung der Kinder der Grund ist. Genauso gut könntest du ihnen selbst alles beibringen, was sie zum Leben brauchen. Warum also willst du eine Fremde ins Haus holen und ihr die Sorge um unsere Kinder anvertrauen?«
»Ich gebe die Sorge nicht aus der Hand, aber ich bin nicht mehr so kräftig wie noch vor einem Jahr. Robert wiederholt ständig, dass die Kinder eine Belastung für mich seien. Obwohl ich ihm nicht zustimme, möchte ich verhindern, dass meine Schwäche ihre Entwicklung hemmt.«
»Du hättest den Jungen nicht bekommen dürfen«, stellte er in scharfem Ton fest. »Nach den Zwillingen hat Robert dich ganz klar gewarnt.«
»Pierre kann nichts dafür. Nach seiner Geburt ging es mir gut. Es war das Fieber im vergangenen Frühjahr.«
Frederics Miene verfinsterte sich, und Colette verstummte. Einige Minuten verstrichen, bis Frederic sich schließlich räusperte. »Hat Robert dir die Anstellung einer Gouvernante empfohlen?«
»Nein, seine Schwester.«
»Aber Agatha hält sie nicht für geeignet.«
»Und woher weißt du das?«, fragte Colette misstrauisch.
»Agatha hat Paul gebeten, mit mir zu sprechen. Nach ihrer Ansicht ist Charmaine Ryan zu jung und zu lebhaft.« Er hinkte zur Verbindungstür hinüber. Dort hielt er inne und sah sich noch einmal um. Ein Funkeln trat in seine Augen. »Ich würde sagen, dass Miss Ryan genau die richtige Gouvernante für unsere Kinder ist.«
Ein Lächeln trat auf ihr Gesicht, und zum ersten Mal seit Monaten weitete sich Frederics Herz. Als ihm die Tränen in die Augen traten, wandte er sich rasch ab. »Ich habe Paul versprochen, Agatha zuliebe mit dir zu sprechen, und das habe ich getan.« Als sie nichts erwiderte, öffnete er die Tür und kehrte in seine Räume zurück. Colette hatte seine Zustimmung erhalten.
Trotz der etwas verspäteten Abfahrt kam Charmaine pünktlich auf der Schwelle der Duvoisins an. Sie strich ihre Röcke glatt und sah kurz zu dem eindrucksvollen Haus. Mit einem tiefen Seufzer stieg sie die wenigen Stufen zum Säulengang hinauf. In diesem Augenblick ging die Tür auf, und ein Mann stürmte mit gesenktem Kopf heraus. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, trat Charmaine einen Schritt zur Seite. Aber zu spät! Der Mann prallte mit voller Wucht gegen sie und hätte sie beinahe umgeworfen, doch instinktiv umklammerte er ihre Oberarme, bis sie ihre Balance wiedergefunden hatten.
»Verzeihen Sie.« Mit einem leisen Auflachen ließ er sie los, und als er sie von Kopf bis Fuß musterte, vertiefte sich sein Lächeln. »Du lieber Himmel.«
Unwillkürlich musste Charmaine lächeln.
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