Im Sommer der Sturme
hätten, hätte Charmaine sich besser vorbereiten können.«
»Soll das heißen, dass die Sache schlecht steht?«, fragte Gwendolyn schüchtern.
»Ganz im Gegenteil«, entgegnete Loretta. »Das Ge spräch ist mehr als nur gut verlaufen.«
Sonntag, 18. September 1836
Der Tag hatte erfrischend kühl begonnen, was nach der Hitze endlich angenehmere Temperaturen verhieß, aber es nieselte. Seufzend stellte Colette fest, dass die Regensaison begonnen hatte. Bis in den Dezember hinein mussten sie nun öfter mit bewölktem Himmel rechnen. Sie saß in ihrem privaten Salon am Schreibtisch und beobachtete versonnen, wie ein sanfter Wind durch die Palmwedel und die Äste der Pawpawbäume vor dem Balkon strich, der durch die offenen Terrassentüren bis in den Salon wehte. Augenblicke wie dieser waren selten, doch Colette hatte gelernt, die kostbare Zeit zu genießen, und darauf bestanden, nach der sonntäglichen Messe eine Stunde für sich allein zu haben. Während Pierre tief und fest auf ihrem Bett schlief, empfand sie beinahe so etwas wie Frieden.
Einen Augenblick später kehrte sie in die Wirklichkeit zurück und sah auf den fast beendeten Brief auf ihrem Schreibtisch hinunter:
Liebe Miss Ryan,
nach unserem Gespräch vom Freitag habe ich mir alles durch den Kopf gehen lassen. Es erscheint mir wichtig, dass wir uns noch einmal treffen, damit ich Ihnen in Ruhe darlegen kann, wie ich mir die Betreuung meiner Kinder vorstelle. Ich möchte also meine Einladung erneuern. Würde es Ihnen passen, mich heute zu einem weiteren Gespräch in meinen Privaträumen aufzusuchen? Sagen wir um vier Uhr? Ich bin sicher, dass wir uns bei einem vertrauten Gespräch unter vier Augen sehr viel besser kennenlernen können.
Sollte sie noch etwas hinzufügen? Keinesfalls wollte sie die junge Frau mit dieser neuen Einladung verunsichern, aber am Freitag waren einfach zu viele Menschen im Raum gewesen, um sich in Ruhe aussprechen zu können. Charmaine Ryan gefiel ihr, und höchstwahrscheinlich würde sie ihr noch vor dem Abend die Stellung anbieten.
Es klopfte an der Tür zum Flur. War es etwa schon Mittag?
»Herein«, rief sie und verzog ihr Gesicht, als Agatha Ward eintrat.
Sie hasste diese Frau. Seit sie vor etwa sechs Monaten die Schwelle des Hauses überschritten hatte, hatte sie sich häuslich eingerichtet. Im Gegensatz zu früheren Besuchen schien dieser kein Ende zu nehmen. Rose Richards zufolge war Agatha Ward schon zu Stippvisiten auf die Inseln gekommen, als Paul und John noch klein waren. Da Agathas Eltern früh gestorben waren und sie keine Kinder hatte, war es nur natürlich, dass sie mit ihren einzigen Verwandten in Kontakt blieb … Vor allem mit ihrem Bruder Robert und ihrem Neffen John. Frederic hatte die Schwester seiner Frau vom ersten Besuch vor etwa zwanzig Jahren an stets willkommen geheißen. Hin und wieder auch für längere Zeit, wenn Agathas Mann als Offizier der British Royal Navy zur See fuhr. Dieser Mann war im Januar gestorben, und im März war seine Witwe in Colettes Welt eingebrochen und hatte sich im Nordflügel häuslich eingerichtet – und das offenbar für immer. Als Colette einmal vorsichtig einen getrennten Wohnsitz angeregt hatte, wurde sie von Agatha belehrt, dass sie seit Jahren im Besitz einer Einladung von Frederic sei, in seinem Haus zu leben, sollte sie jemals in Not geraten. Nun war dieser Fall eingetreten, und Agatha war gekommen, um zu bleiben. Und schlimmer noch. Sie hatte sich gekonnt beim Personal eingeschmeichelt und auf ihrer Rolle als persönliche Gesellschafterin für Colette beharrt. Colette wiederum hatte weder den Willen aufgebracht, sich gegen Agatha zu wehren, noch den Mut, um ihr Missfallen offen mit ihrem Mann zu besprechen. Inzwischen schalt sie sich selbst für ihre Zaghaftigkeit.
»Ich dachte, du ruhst dich ein wenig aus«, sagte Agatha vorwurfsvoll.
Trotz plötzlicher Kopfschmerzen bemühte sich Colette um Höflichkeit. »Aber das tue ich doch.«
»Wie ich sehe, schreibst du einen Brief.«
»Das ist ja nicht unbedingt kräfteraubend, oder?« Colette faltete das Blatt, als Agatha näher trat. »Gibt es einen Grund für deinen Besuch? Ich dachte, ich hätte klar gesagt, dass ich eine Stunde lang ungestört bleiben möchte.«
»Die Mädchen fragen nach dir.«
»Wie kann das denn sein? George hat sie doch mit in die Stadt genommen.«
Unsicher runzelte Agatha die Stirn, aber dann zuckte sie nur die Schultern. »Es tut mir leid. Ich dachte, dass Fatima sich vorhin in der
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