Im Sommer der Sturme
zu stören. Sie musterte die Fremden einen nach dem anderen, bis ihr Blick schließlich bei Charmaine hängen blieb. »Wie heißen Sie?«, wollte sie wissen.
»Aber, Yvette«, mahnte ihre Mutter. »So stellt man sich doch nicht vor. Unsere Gäste werden denken, dass du keine Manieren hast.«
»Ich will mich ja nicht vorstellen, Mama. Sie« – dabei deutete sie mit dem Finger auf Charmaine – »soll mir nur sagen, wie sie heißt.«
»Außerdem ist es unhöflich, mit dem Finger auf Menschen zu zeigen«, bemerkte nun auch noch Paul.
Mit finsterer Miene ließ sich das Mädchen auf einen Sessel plumpsen und schmollte.
Colette beachtete sie nicht, sondern rief Jeannette und Pierre zu sich. Schnurstracks rannte der kleine Junge in die ausgebreiteten Arme seiner Mutter. Nachdem sich Rose, Agatha und Jeannette gesetzt hatten, fuhr Colette mit der Vorstellung ihrer Besucher fort. »Dies sind Mr. und Mrs. Harrington aus Richmond in Virginia …«
Yvette spitzte die Ohren. »Dort wohnt auch Johnny.«
»… und dies ist Miss Ryan, eine Freundin von ihnen.«
»Wohnen Sie auch in Richmond?«, fragte Yvette.
»Ich bin dort aufgewachsen«, erwiderte Charmaine.
»Kennen Sie meinen älteren Bruder?«
»Nein. Es tut mir leid, aber ich kenne ihn nicht.«
Yvette war noch nicht zufrieden. »Könnten Sie ihn vielleicht finden?«
»Yvette«, mahnte ihre Mutter, »es ist genug.«
Das Mädchen lächelte bezaubernd. »Aber, Mama, du hast doch gesagt, dass jeder den Namen Duvoisin kennt. Vielleicht kann Miss Ryan ja herausfinden, wo Johnny wohnt.«
Charmaine lachte. »Vermutlich könnte ich das, wenn ich es versuchen würde.«
Das schien das Mädchen zu freuen. »Gut. Wenn Sie nach Richmond zurückfahren, könnten Sie ja vielleicht einen Brief für ihn mitnehmen. Ich wollte ihm schon früher schreiben, aber Mama sagt, dass sie nicht weiß, wohin sie den Brief schicken soll. Und Vater … nun, Johnny und er hatten einen schrecklichen …«
»Yvette!«, bellte Paul. »Unsere Gäste interessieren solche Dinge nicht!«
Das Mädchen verdrehte die Augen und rutschte im Sessel herum, als Rose Richards sich zu ihr hinabbeugte. »Das nächste Mal«, raunte die alte Frau ihr zu, während sie die goldenen Strähnen bürstete, »rennst du nicht einfach davon, bevor ich dich hübsch gemacht habe.«
Charmaines Blick wanderte zu Jeannette, die noch kein Wort gesagt hatte. Die Kleine lächelte schüchtern. »Sie sind sehr hübsch«, sagte sie.
Charmaine lachte leise. »Vielen Dank, Jeannette. Darf ich dir das Kompliment zurückgeben?«
»Woher kennen Sie meinen Namen?«
Yvette brummte. »Man hat ihn ihr verraten, bevor wir hereingekommen sind, Dummchen.«
»Deine Schwester hat recht«, bestätigte Charmaine. »Aber viel mehr konnte deine Mutter mir nicht erzählen. Ich würde gern mehr über euch wissen, aber nur, wenn ihr mich auch etwas fragt.«
»Ich wüsste gern, wie Sie heißen«, sagte Yvette.
Colette schnalzte mit der Zunge. »Ich habe dir doch gesagt, dass sie Miss Ryan heißt, Yvette.«
»Ich meine aber ihren Vornamen. Wie heißen Sie mit Vornamen?«
»Charmaine.«
Jeannette legte den Kopf schief. »Das ist ja lustig! Das klingt wie Charmantes.«
»Nicht wahr? Eine Freundin hat das vor kurzem auch gesagt. Da war es mir noch gar nicht aufgefallen.«
»Können wir Sie Charmaine nennen?«, fragte Yvette.
»Nein, das könnt ihr nicht«, fuhr Colette dazwischen, »aber ihr dürft Mademoiselle Charmaine sagen.«
Yvette wollte sich von Rose losmachen, die ihre Haare flocht. »Autsch!«, quietschte sie und fing sich einen tadelnden Blick ihrer Kinderfrau ein.
»Wenn du nicht so zappeln würdest, wäre ich längst mit dem Flechten fertig.«
»Warum muss ich es mir immer bürsten und flechten lassen? Wenn ich ein Junge wäre, dürfte ich es ganz kurz abschneiden!«
Charmaine schmunzelte. »Wie gut ich dich verstehe, Yvette. Ich hasse es auch, mein Haar zu bürsten, und überlege fast jeden Morgen, ob ich es nicht abschneiden soll.«
Yvettes Bewunderung für Charmaine wuchs. »Und warum tun Sie es nicht?«
»Man hat mir gesagt, dass es das Schönste an mir ist.«
Die Antwort schien Yvette nicht zu begeistern.
»Stell dir nur vor, ich sähe danach fürchterlich aus? Das wäre eine schöne Bescherung, nicht wahr? Außerdem würde es Jahre dauern, bis es wieder so lang ist wie heute.«
»Das stimmt«, räumte die Kleine widerstrebend ein. Nachdem der zweite Zopf fertig war, ging sie zu Charmaine hinüber. »Wann werden Sie
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