Im Sommer der Sturme
feuerroten Blüten, und dem Blütenmeer der Frangipanibäume in dunklem Orange, Weiß, Pink und Gelb herrschte süß duftende Kühle. Entlang der gepflasterten Wege luden Marmorbänke zum Verweilen ein, damit man sich an der Schönheit des Gartens und der Zartheit seiner Blütenpracht erfreuen konnte. Die Mitte der Anlage zierte ein Springbrunnen, dessen Fontäne in ein Marmorbecken fiel und von dort in immer größere Becken hinabplätscherte.
»Dies ist ein wirkliches Paradies«, sagte Charmaine.
»Aber wenn man sich daran gewöhnt hat, ist es trotzdem langweilig«, sagte Yvette.
»Das stimmt«, bestätigte Jeannette. »Es macht viel mehr Spaß, irgendwo ein Picknick zu machen oder auszureiten, was wir oft getan haben, bevor Mama krank wurde.«
Hier also liegt das Problem, dachte Charmaine. Die Mädchen langweilten sich, weil ihre Tage immer gleich verliefen. Und das konnte sie ihnen nicht verdenken. Kinder sollten ihre Freiheit genießen. Noch heute Abend wollte sie Pläne schmieden, um das Leben der Kinder aufregender zu gestalten. Natürlich war der Unterricht wichtig – Colette legte schließlich Wert darauf, dass ihre Töchter lesen und schreiben lernten –, aber die Wochenenden standen ihr zur freien Verfügung. Vielleicht konnten sie ja hin und wieder ein Picknick veranstalten, solange das regnerische Wetter mitspielte.
Um sieben Uhr versammelten sich die Bewohner des Hauses im Speisezimmer – Charmaines erstes Abendessen im Kreis ihrer neuen Familie. Genau wie beim Lunch setzten sich Rose und Yvette an gegenüberliegende Seiten des Tischs auf die beiden mittleren Plätze. Colette half ihrem Sohn in den Kinderstuhl, der direkt neben ihrem Platz am Fußende der Tafel in der Nähe der Tür zu Küche stand. Charmaine ging davon aus, dass Frederic Duvoisin, sollte er an der Mahlzeit teilnehmen, gegenüber seiner Frau am Kopfende Platz nahm. Auch dieses Mal bat Colette die Gouvernante, auf dem Stuhl neben Pierre Platz zu nehmen, und Jeannette setzte sich blitzschnell neben sie.
»Ist das erlaubt, Mama?«, fragte sie höflich.
»Solange Nana sich nicht vernachlässigt fühlt.«
Rose schüttelte den Kopf. »Sie kann gern neben Charmaine sitzen. Mir ist das recht.«
Im Foyer ertönten Stimmen, und wenig später traten George Richards und Paul ins Speisezimmer. Zu Charmaines Verwunderung setzte sich Paul an den Kopf der Tafel, während George zu seiner Rechten Platz nahm. Demnach nahm Frederic Duvoisin wohl nicht am Abendessen teil. Wieder schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass Paul und Colette eigentlich eher wie Mann und Frau wirkten.
Agatha Ward kam als Letzte. Charmaine hatte sie nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen, als sie Colette gegen Mittag zu einer Ruhepause ermahnt hatte. Die Witwe nickte freundlich in die Runde und setzte sich gegenüber von Pierre an den Tisch.
Während die Gänge aufgetragen wurden, entwickelte sich rasch eine zwanglose Unterhaltung. Voller Genuss widmete sich Charmaine dem Essen. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie hungrig sie war, obgleich schon das Mittagessen so köstlich geschmeckt hatte. Hin und wieder half sie Pierre und unterhielt sich dabei mit Rose und den Mädchen. Nach etwa der Hälfte der Mahlzeit richtete George das Wort an sie. »Nun, Miss Ryan, wie war Ihr erster Tag als Gouvernante?«
»Oh, ganz wundervoll.«
Colette lachte leise. »Charmaine sollte eigentlich erst morgen anfangen. Doch« – mit gespielt tadelndem Blick sah sie ihre Tochter an – »Yvette hat sich heute schon einmal eine Klavierstunde bei Miss Ryan gesichert.«
Alle sahen Yvette an, nur Paul ließ Charmaine nicht aus den Augen.
»Das stimmt«, rief Yvette. »Mademoiselle gibt mir Unterricht.«
»Mir auch«, rief Jeannette.
Paul lehnte sich zurück. »Miss Ryan steckt voller Überraschungen, nicht wahr?«
Charmaine sah ihm direkt in die Augen. »Es ist keine Überraschung, dass ich Klavier spielen kann, Mr. Duvoisin. Mrs. Harrington hat das bereits bei unserem Gespräch am Freitag erwähnt.«
»Das ist wahr«, erwiderte Paul mit angedeutetem Lächeln. »Sagen Sie, Mademoiselle, was wollen Sie meinen Schwestern und Pierre noch alles beibringen?«
»Was auch immer sie lernen möchten.«
Als sein Lächeln breiter wurde, verspürte Charmaine Schmetterlinge im Bauch. Verlegen wandte sie ihren Blick ab.
»Wir haben Mademoiselle Charmaine das ganze Haus gezeigt«, berichtete Jeannette. »Sie fand es sehr schön.«
»Ja«, murmelte Paul, »das kann ich mir denken.«
Charmaine
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