Im Sturm der Leidenschaft (German Edition)
Sternendeuterin?«
»Nein, nein.« Die alte Frau schüttelte den Kopf.
»Die Astronomie ist eine Wissenschaft. Viel zu schwierig für eine alte Frau, die nicht einmal lesen und schreiben kann. Bin ich auch nicht gebildet, so sehe ich doch mehr als die meisten anderen.«
»Wie das?«, fragte Charlotta, die sich beim Klang der warmen Stimme und dem mütterlichen Streicheln langsam beruhigte.
»Von meiner Mutter habe ich gelernt, das Schicksal der Menschen aus deren Händen zu lesen. Deshalb, Doña Charlotta, weiß ich, dass Eure Zeit noch nicht gekommen ist.«
Sie nahm Charlottas linke Hand, die Hand, die dem Herzen näher lag, drehte sie mit der innenfläche nach oben und fuhr langsam eine Linie darin nach.
»Seht Ihr, Doña Charlotta, dies ist Eure Lebenslinie. Lang ist sie, sehr lang. Das bedeutet ein langes Leben. Die Hände lügen nicht. Niemals. Alles, was in ihnen geschrieben steht, wird dem Menschen widerfahren.«
Charlotta setzte sich auf und betrachtete neugierig ihre Handfläche. Die alte Frau hatte Recht. Lang und ziemlich gerade durchzog die Linie, die die Wahrsagerin Lebenslinie genannt hatte, ihre Handfläche. Doch da waren noch mehr Linien. Einige kreuzten die Lebenslinie, andere liefen rechts oder links daran vorbei.
»Könnt Ihr auch die anderen Linien deuten?«, fragte Charlotta.
»Gewiss.«
»Was steht in ihnen?«
Die Wahrsagerin setzte sich auf den Rand des Bettes, nahm Charlottas linke Hand und zog sie näher an ihr Gesicht heran. Lange schaute sie auf das Liniengeflecht, und Charlotta beobachtete dabei angestrengt jede Veränderung in der Miene der Wahrsagerin.
»Was steht in meiner Hand geschrieben? Was lest Ihr darin?«
Endlich sah die alte Frau hoch und lächelte. Doch das Lächeln war nicht fröhlich, sondern mit leichtem Schmerz vermischt.
»Am Ende wird die Liebe siegen, Doña Charlotta. Am Ende werdet Ihr glücklich werden mit dem Mann Eures Herzens. Ruhm und Ehre werden Euch zuteil werden, Wohlstand Euch umgeben, und ein reicher Kindersegen wird Euch beschert sein.«
»Am Ende? Was heißt das? Was kommt davor?«, fragte Charlotta mit klopfendem Herzen, doch dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, Ihr habt Euch getäuscht. Es gibt nur einen Mann in meinem Herzen, Vasco da Gama. Doch er ist tot. Ihr selbst habt mir von seiner Totenmesse in Santo Domenico berichtet.«
»Seht her.« Die alte Frau strich über Charlottas Hand, deutete auf eine bestimmte Linie. »Das ist die Linie der Liebe«, erklärte sie. »Sie beginnt mit einem geraden Verlauf, doch dann wird sie kurz unterbrochen. Eine Nebenlinie taucht auf und gleichzeitig erscheint die erste Linie wieder, verläuft noch eine Weile unregelmäßig, um schließlich in einem weiten, geraden Bogen mit Eurer Lebenslinie zusammen zu stoßen, während die Nebenlinie abrupt abbricht.«
»Und was heißt das?«
»Ihr habt den Mann Eures Herzens bereits gefunden. Doch das Schicksal hat Euch getrennt. Viele Kämpfe müsst Ihr kämpfen, viel Schmerz, Leid und Gefahren überstehen. Doch am Ende seid Ihr vereint. Vereint für den Rest Eures Lebens.«
Unwillkürlich war Charlotta hochgeschreckt. Ihr Körper streckte sich und alle Verzweiflung war plötzlich wie weggewischt.
»Das heißt, Vasco da Gama lebt! Ihr selbst habt es gesagt! In meiner Hand steht es, und das Schicksal lügt nicht.«
»Das Schicksal lügt nicht, Ihr habt Recht. Doch in der Hand stehen keine Namen. Wenn Ihr aber sicher seid, dass Ihr in Vasco da Gama den Mann Eures Lebens gefunden habt, so kann er nicht tot sein. Seid Ihr Euch sicher?«
»So sicher, wie man nur sein kann«, erwiderte Charlotta und fügte, mehr für sich selbst, hinzu: »Wäre er tot, so hätte ich es gespürt. Doch da war nichts. Nur die Reden der anderen, die mich glauben ließen, ich hätte ihn verloren.«
Sie sah hoch. Ihre Augen waren vor Schreck geweitet und ihr Blick war sehr klar. »Und beinahe hätte ich mich selbst umgebracht!«
Es war, als wäre ihr die Ungeheuerlichkeit ihres gestrigen Vorhabens erst jetzt in Gänze zu Bewusstsein gekommen. Vasco lebte, wo auch immer, aber sie läge jetzt auf dem Grund des Meeres, wenn, ja, was war eigentlich passiert?
Die alte Frau schien Charlottas Gedanken gelesen zu haben. »Ich habe am Strand nach Mondsteinen gesucht, als ich Euch im Wasser stehen sah. Mein Sohn Jorges war es, der Euch gerettet hat.«
»Wo ist er?«, fragte Doña Charlotta. »Ich möchte ihn sehen und mich bei ihm bedanken.«
Die alte Frau lachte. »Wollt Ihr vorher nicht
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