Im Sturm: Thriller (German Edition)
müssen bereit sein, Juri. Sollte ich denn vielleicht sagen: ›Bedaure, Genosse Generalsekretär, aber die Sowjetarmee ist dazu nicht in der Lage?‹ Ich wäre entlassen und durch einen fügsameren Mann ersetzt worden – Sie wissen ja, wer das ist. Wollen Sie lieber unter Bucharin dienen?«
»Dieser Idiot!« grollte Roschkow. Die brillanten Pläne des damaligen Generalleutnants Bucharin hatten die Sowjetarmee nach Afghanistan geführt. Bucharin, fachlich eine Null, war von seinen politischen Beziehungen nicht nur gerettet, sondern bis fast an die Spitze des Militärs befördert worden.
»Soll also er in diesem Zimmer sitzen und Ihnen seine Pläne diktieren?« fragte Schawyrin. Roschkow schüttelte den Kopf. Die beiden waren befreundet, seit sie 1945 bei dem letzten Vorstoß auf Wien Panzerverbände befehligt hatten.
»Und wie fangen wir das an?« fragte Roschkow.
»Roter Sturm«, erwiderte der Marschall schlicht. Roter Sturm hieß der Plan für einen Panzerangriff auf Westdeutschland und die Niederlande, der unter Berücksichtigung von Strukturveränderungen in den Streitkräften beider Seiten laufend auf den neuesten Stand gebracht wurde und auf eine rapide Zunahme der Spannungen zwischen Ost und West eine drei Wochen dauernde Kampagne vorsah. Trotzdem wurde im Einklang mit der sowjetischen Militärdoktrin ein strategischer Überraschungseffekt als Voraussetzung für den Sieg gefordert, der nur mit konventionellen Waffen errungen werden sollte.
»Wenigstens sind keine Atomwaffen im Spiel«, sagte Roschkow. Andere Pläne mit anderen Bezeichnungen sahen nämlich verschiedene Szenarien vor, die den Einsatz von taktischen und gar strategischen Kernwaffen bedeuteten – etwas, das kein Mann in Uniform gerne in Erwägung zog. Trotz des Säbelrasselns ihrer politischen Herren wußten diese Berufssoldaten zu gut, daß der Gebrauch nuklearer Waffen nur zu grauenerregenden Unsicherheitsfaktoren führte. »Und die maskirowska ?«
»Spielt sich in zwei Stufen ab. Die erste ist rein politisch und gegen die Vereinigten Staaten gerichtet. Die zweite führt kurz vor Kriegsbeginn das KGB durch. Sie stammt vom KGB-Nord und wurde von uns vor zwei Jahren besprochen.«
Roschkow grunzte. Die Gruppe Nord war ein ad hoc-Komitee, das sich aus den Abteilungsleitern des KGB zusammensetzte und erstmals Anfang der siebziger Jahre von dem damaligen KGB-Chef Juri Andropow einberufen worden war. Sein Zweck war die Erforschung von Möglichkeiten zur Spaltung der Nato im allgemeinen und die Führung von politischen und psychologischen Operationen zur Untergrabung des westlichen Wehrwillens im besonderen. Der spezifische Plan, der zur Vorbereitung auf einen heißen Krieg die militärische und politische Struktur der Nato erschüttern sollte, war der bislang kühnste Schwindel der Gruppe Nord. Ob er Erfolg haben würde, stand dahin. Die beiden hohen Offiziere tauschten einen ironischen Blick. Wie die meisten Berufssoldaten mißtrauten sie Spionen und ihren Plänen.
»Vier Monate«, wiederholte Roschkow. »Da gibt es viel zu tun. Und wenn dieser KGB-Zauber nicht funktioniert?«
»Der Plan ist gut. Er soll den Westen nur eine Woche lang täuschen, obwohl zwei besser wären. Entscheidend ist natürlich, wie rasch die Nato voll kriegsbereit ist. Wenn wir den Mobilisierungsprozeß um sieben Tage verzögern können, ist uns der Sieg sicher –«
»Und wenn nicht?« fragte Roschkow, der wußte, daß selbst eine Verzögerung von sieben Tagen keine Garantie bot.
»Dann ist er nicht sicher, aber das Gleichgewicht der Kräfte bleibt für uns günstig. Das wissen Sie, Juri.« Über die Option, bereits mobilisierte Streitkräfte wieder zurückzuziehen, hatte der Verteidigungsminster mit dem Chef des Generalstabs überhaupt nicht gesprochen.
»Zuerst einmal muß rundum die Disziplin verbessert werden«, sagte der OB. »Und ich muß sofort meine Kommandeure informieren. Es muß intensiv geübt werden. Wie ernst ist die Treibstoffknappheit?«
Schawyrin reichte seinem Untergebenen die Unterlagen. »Könnte schlimmer sein. Wir haben genug für ein erweitertes Übungsprogramm. Ihre Aufgabe ist nicht leicht, Juri, aber vier Monate sind doch gewiß eine ausreichende Zeit, oder?«
Natürlich nicht, aber es war sinnlos, das auszusprechen. »Wie Sie sagten, reichen vier Monate aus, um unseren Männern die Disziplin zum Kampf einzuimpfen. Habe ich freie Hand?«
»In Grenzen.«
»Einem Gemeinen klarzumachen, daß er vorm Feldwebel strammzustehen hat, ist
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