Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
großen Sportler unter einem anderen Namen bekannt wurden als dem, den sie bei ihrer Geburt bekommen hatten. Selbst bei Präsidenten war das so, und nun galt das eben auch für ihn.
Shade saß im dunklen Wagen und sah zu, wie die Scheinwerfer über die Clay Street sausten, während er beim Gedanken an gewisse Anekdoten leise in sich hineinlachte.
Blanchette kam mit einem in Wachspapier gewickelten Sandwich zurück. Die rote Sauce tropfte über seine gierig zupackenden Finger. Er rutschte hinter das Steuer, dann musste er einen Fleischkloß aufheben, der aus dem länglichen Brötchen geflutscht war. Er fand ihn unterm Sitz und steckte ihn wieder ins Sandwich.
»Wenn du das Ding nicht so quetschen würdest, als wolltest du einem Huhn den Hals umdrehen, dann würde das Zeug auch nicht überall rauslaufen, How.«
Blanchette biss kräftig und hingebungsvoll zu und schmatzte genießerisch.
»Dann fällt mir womöglich alles runter«, sagte er.
»Aber so fällt doch auch was runter.«
»Hey, Mann – ich hab das Zeug schließlich bezahlt, oder?«
Shade knurrte. »Das ist ja der entscheidende Faktor«, sagte er.
Nach einem weiteren Bissen, den man allein schon als kleine Mahlzeit bezeichnen konnte, nickte Blanchette.
»Sag ich doch«, meinte er.
An der Ecke bei der Polizeiwache stieg Shade aus und ging den Rest zu Fuß, während Blanchette den Wagen auf den Parkplatz fuhr. Mehrere Autos parkten illegal vor der Wache, und beim Haupteingang hatte sich eine schnatternde Menschenschar versammelt. Shade schlug mit der Faust auf die Kühlerhaube eines grauen Sedan und machte dem Mann im Wagen ein Zeichen.
»Parken Sie anderswo«, rief er.
Der Mann im Wagen gähnte Shade an, dann hielt er ihm seinen Presseausweis unter die Nase.
»Ich bin vom Daily Banner«, erklärte er, als wäre das ein Freibrief.
Shade ärgerte sich über den Tonfall.
»Zahlt die Zeitung eure Strafzettel? Oder seid ihr so reich, dass es euch nicht juckt?«
»Ich bin hier wegen ’nem Artikel. Sie sind Detective, stimmt’s?«
Shade ging zum Fahrerfenster. Er schlug mit der Faust gegen die Wagentür und fragte sich, warum er sich ausgerechnet diesen Wagen ausgesucht hatte, um die Bestimmungen durchzusetzen.
»Mister«, sagte Shade. »Ich verteile nur ungern Strafzettel, aber Sie zwingen mich dazu. Glauben Sie mir, ich spiel nicht gern den Arsch vom Dienst.« Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Aber es ist nun mal mein Job.«
Der Reporter nickte resigniert.
»Wir könnten diesen Dialog endlos fortsetzen, stimmt’s?«
»Und dann würde ich Ihnen ’nen Strafzettel verpassen.«
»Kapiert«, murmelte der Reporter und drehte den Zündschlüssel um.
Langsam stieg Shade die Stufen zur Polizeiwache hinauf.
Auf der Treppe standen Journalisten, Sensationslüsterne und kleinere Politchargen: ein erfahrenes Sportplatz-Publikum, das mit den Händen fuchtelte, um die Mücken zu verjagen, die unter den altmodischen Lichtkugeln mit der Aufschrift Polizei an beiden Seiten des Eingangs herumschwirrten. Die Nachricht von dem Mord breitete sich schnell aus, und immer mehr Leute fanden sich auf den glatten Steinstufen ein, die zu dem weißen Gebäude hinaufführten.
An der Tür stürzte sich ein aufdringlicher Reporter namens Voigt auf Shade. Mit seiner Schmalzlocke und seinem Polohemd sah er aus wie ein Collegestudent. »Rene«, sagte er plump vertraulich. Dann: »Detective Shade, wollte ich sagen. Was ist Ihr Kommentar zum Rankin-Mord?«
Shade verlangsamte seinen Schritt, strich sich über die Haare und schüttelte den Kopf.
»Wer ist denn dieser andere Typ vom Banner ? «, fragte er mit einer Kopfbewegung zur Straße hin.
»Welcher andere Typ?«
»Der, dem ich gerade gesagt habe, er soll woanders parken. Graues Haar, Haut wie verschrumpelter Salat.«
Voigt verstand und verzog das Gesicht.
»Braverman! Verdammt!« Voigt schleuderte seinen Notizblock auf den Boden. Als Shade weiterging, hörte er Voigt sagen: »Ich bin wohl nur gut genug, um über die Kids zu berichten, die Brücken mit Graffiti beschmieren, oder über alte Damen, die mit dem Schirm auf Diebe eindreschen, aber wenn’s mal um ’ne wirklich gute Geschichte geht …«
Im Inneren des Gebäudes – der Fußboden war spiegelglatt gewachst, eine Tür mit der Aufschrift Männer wurde mit einem Mülleimer offen gehalten, aus dem braune Papiermassen quollen – merkte Shade, dass er sich merkwürdig ratlos fühlte. Er begriff allmählich, welche Konsequenzen der Mord an
Weitere Kostenlose Bücher