Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
entscheiden«, sagte er. »Bis bald, Kleiner.«
Die zweite Hälfte bot dasselbe Trauerspiel, aber Shade sah trotzdem weiter zu, bis Nicole drei Minuten vor Schluss vom Platz gestellt wurde. Die Peepers lagen mit dreiundzwanzig Punkten zurück, und daher verließ er die Halle und schlenderte durch Frogtown. Die Gehsteige waren dunkel und uneben. Hier und da hatte man kleine Blätterhaufen im Rinnstein zusammengeharkt und angezündet und so dem Abend einen Rauchgeruch verpasst, der daran denken ließ, dass wieder ein Jahr vergangen war.
Auf der North Second Street setzte sich Shade auf Höhe der Sacred Heart Academy auf eine Bank an der dortigen Bushaltestelle. Sacred Heart nahm einen gesamten Häuserblock ein, und innerhalb des hohen Zauns aus eisernen Gitterstäben, der die Academy umgab, erstreckte sich ein sehr schönes, parkähnliches Gelände. Der Abend war warm, und welke Blätter tanzten im leichten Wind. Vögel hockten schlafend auf den kahlen Ästen, und Shade konnte sehen, dass einige Schwestern an den Gaslaternen vorbeispazierten, die die Wege auf der anderen Seite des Zauns beleuchteten. Obwohl er sein ganzes Leben in Frogtown verbracht hatte, war er doch nur zweimal auf dem Gelände von Sacred Heart gewesen, beide Male als Kind und aus Gründen, die er inzwischen vergessen hatte.
Fünfzehn Minuten lang starrte Shade durch die Eisengitter, beobachtete die Nonnen bei ihrem Abendspaziergang, lauschte dem Rhythmus ihrer Schritte und ihrem gelegentlichen Lachen. Dann setzte er seinen eigenen Weg fort und strebte Nicoles Haus zu, das am Rand dieses Stadtteils stand.
Frogtown, das älteste Viertel von St. Bruno, war von einer Horde gemeingefährlicher Hinterwäldler gegründet worden, die in den Sümpfen und dem Fluss und in den vielen Blödmännern, die den trügerischen braunen Strom hinunterschipperten, das große Geld witterten. Inzwischen war es eine Gegend mit Reihenhäusern aus Stein oder Holz, Billigapartments, kleinen müden Läden, gut gehenden Filialen für Laster aller Art und einer Unmenge ungepflasterter Seitengassen, die fabelhafte Fluchtwege vom Ort des Verbrechens boten. Über kleine Hinterhöfe waren Wäscheleinen gespannt, an denen die Berufskleidung der Gelegenheitsjobber flatterte, einer Truppe von Werktätigen, die sich im Allgemeinen ihre Stechkarten in diversen Bars der Nachbarschaft stanzen ließen, wo sie an der Theke tranken, in der Seitengasse kifften und im ersten Stock ihren Beuteanteil oder die Arbeitsunfähigkeitsrente des jeweiligen Monats verzockten. Wenn die Piepen dann futsch waren, die letzten Glimmstängel verraucht und die Flaschen nur noch Altglas, dann pflanzten sie sich auf die Straße, hielten die leeren Taschen weit auf, richteten den Blick gen Himmel und spähten aus rotgeränderten Augen nach den Sterntalern des Sozialstaats.
Nicoles Heim war ein altersschwaches Holzhaus in der Perkins Street. Shade stieg die Treppe zur Vorderveranda hinauf, zog seinen Schlüssel hervor und sperrte auf. Als sich die Tür ins dunkle Vorderzimmer öffnete, klimperten Glöckchen sanft ans Glas, und er rief ein fragendes »Nic?«, um sich anzukündigen. Der Schein einer Straßenlaterne fiel durch die Spitzengardine vor den hohen, schmalen Fenstern des Wohnzimmers und warf schwachblaue Lichtpfade auf einen ziemlich verschlissenen Perserteppich. Shade ging durch den engen Flur geradewegs nach hinten, bis er Licht unter der Badezimmertür durchsickern sah. Mit den Knöcheln klopfte er vorsichtig an die Tür. »Ich bin’s«, rief er. Er hörte, wie das Wasser an den Wannenrand plätscherte. Er stieß die Tür auf und schlüpfte in das kleine dampfgefüllte Badezimmer, das er und Nic eines Samstagnachmittags im Frühling in einem grellen Pfirsichton gestrichen hatten. Sie lag bis zum Hals im Wasser, das von den Badesalzen, die sie benutzte, blau gefärbt war, und ihre Zehen krallten sich über den Emaillerand der alten klauenfüßigen Badewanne.
»Wenn man die Augen halb zumacht«, sagte sie, »ist es wie in Cozumel.«
»Ein hartes Spiel«, sagte er. Nicole gab einen langen und tiefen Seufzer von sich, und das blaue Wasser gluckste an ihren Brüsten entlang, als sie sich vorbeugte, und das Haar fiel ihr ins Gesicht, als sie in ihren Schoß hinuntersah. Shade setzte sich auf den Wannenrand, griff sich ein Stück Seife und machte sich daran, ihr mit ausgreifenden und gleichmäßigen Handbewegungen den Rücken zu waschen.
»Ich hab nachgedacht«, sagte er.
Als er mit ihrem Rücken
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