Im Tal der flammenden Sonne - Roman
Jonathans Blick glitt über ihren Morgenrock, unter dem sie nichts als ein dünnes Nachthemd trug. Ihm fiel auf, wie sehr sie sich verändert hatte. Ihre Züge waren weicher geworden, und sie lächelte oft. Der schlimme Sonnenbrand heilte allmählich ab, und ihre Stimme hatte nicht mehr den weinerlichen, quengelnden Tonfall. Zugenommen hatte sie auch. Ihr Körper war weiblicher geworden.
Arabella bemerkte seine Blicke und errötete. Es sah Jonathan gar nicht ähnlich, sie so anzustarren. »Nein, mir ist überhaupt nicht kalt«, antwortete sie und wandte sich wieder Uri zu.
Sie gingen zu den Stuten hinüber und schlenderten zwischen ihnen umher, in der Hoffnung, das Fohlen werde sich einer der Stuten anschließen, doch diesen Gefallen tat es ihnen nicht: Es folgte Arabella auf Schritt und Tritt.
Schließlich gab Jonathan sich geschlagen. »Ich fürchte, wir müssen Paddy wecken. Soll er sich um das Junge kümmern.«
»Das ist wirklich zu dumm«, meinte Arabella. Das Fohlen rieb seine Schnauze an ihrer Schulter.
»Wir haben keine andere Wahl. Uri weicht Ihnen ja nicht mehr von der Seite.«
Obwohl sie es nicht zugeben würde, war Arabella gerührt über so viel Anhänglichkeit. Sie war überzeugt, dass das Tier spürte, dass sie sich in der gleichen Notlage befanden, und deshalb ihre Nähe suchte. Aber was sollte sie tun? Sie konnte ihm ja nicht die ganze Nacht Gesellschaft leisten. Sie würden wohl oder übel Paddy wecken müssen.
Plötzlich hörten sie, wie ein Gewehrhahn gespannt wurde. »Wer ist da?«, rief eine ungehaltene Stimme.
»Paddy, bist du das?«, antwortete Jonathan. Er schob sich zwischen den Kamelen hindurch und stand plötzlich Paddy gegenüber. Die Mündung von dessen Gewehr war direkt auf ihn gerichtet. Jonathan hob beschwichtigend die Hände. »Immer mit der Ruhe, Paddy. Das Ding da kannst du getrost herunternehmen.«
Paddy ließ die Waffe sinken.
»Was machst du denn hier draußen?« Jonathans Blick fiel auf den Liegestuhl hinter ihm, über den eine Decke geworfen war.
»Ich bewache meine Stuten, damit sie mir nicht von wilden Hengsten weggeholt werden«, erwiderte Paddy, der jetzt erst Arabella bemerkte. »Und was tut ihr beide hier draußen?«
»Wir haben Uri zurückgebracht.«
»Was heißt zurückgebracht?«
»Er ist vor dem Hotel aufgetaucht und hat einen Heidenlärm veranstaltet«, sagte Arabella und schilderte, was sich zugetragen hatte.
Paddy konnte nicht glauben, was er da hörte.
»Eigenartig.« Verwundert schüttelte er den Kopf. »Ein Fohlen, das keine Mutter mehr hat, schließt sich normalerweise einer anderen Stute an, oder mir. Uri hat Sie gerade mal ein paar Minuten gesehen, und trotzdem ist er Ihnen nachgelaufen und hat Sie gesucht?«
»Glauben Sie, er hat mich gesucht?« Arabella fühlte sich insgeheim geschmeichelt.
»Sieht ganz so aus. Anscheinend sucht er Ihre Nähe.« Paddy beobachtete verblüfft, wie das Fohlen abermals seinen Kopf an Arabellas Schulter rieb.
Als er das Tier mit einem Strick angebunden hatte, verabschiedeten sich Arabella und Jonathan und machten sich auf den Rückweg. Uri schrie zum Erbarmen. Arabella brach es schier das Herz. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch sie wischte sie rasch fort, damit Jonathan nicht sah, wie nahe ihr der Kummer des Tieres ging. Im Hotel eilte sie die Treppe hinauf, dankte Jonathan für seine Hilfe und wünschte ihm eine gute Nacht. Ohne auf Antwort zu warten, verschwand sie in ihrem Zimmer und schloss die Tür. Sie legte sich wieder hin, konnte aber nicht mehr einschlafen. Uris Mitleid erregende Schreie klangen ihr immer noch in den Ohren. Auch Arabella vermisste ihre Mutter mehr denn je zuvor.
Als sie am nächsten Morgen aufwachte, hörte sie als Erstes Uris Blöken. Sie traute ihren Augen nicht, als sie sah, dass es schon acht Uhr war. Eigentlich hatte sie früh aufstehen wollen, um sich von den Quiggleys und den McKenzies zu verabschieden, aber die waren längst auf dem Heimweg.
Sie stand auf und trat auf den Balkon hinaus. Sie hatte es sich nicht eingebildet: Wieder stand Uri vor dem Hotel und blökte herzzerreißend.
»Was machst du denn schon wieder hier?« Arabella zog sich in aller Eile an und lief hinunter. Das Kamelfohlen trabte sofort auf sie zu. Fast im gleichen Moment kam Paddy angerannt und versuchte, das Tier einzufangen.
»Ich hatte ihn heute Morgen kaum losgebunden, da ist er schon auf und davon«, sagte Paddy atemlos. »Ich weiß nicht wieso, aber offenbar sucht er Sie und will bei
Weitere Kostenlose Bücher