Im Tal der flammenden Sonne - Roman
des verstörten und verzweifelten Kamelfohlens.
»Was ist denn passiert?« Arabella stieg ab. Sie hätte das kleine Kamel gern getröstet, wusste aber nicht, wie sie das anstellen sollte. Sie konnte das Tier gut verstehen. Wie sehr hatte sie ihm gewünscht, dass es seine Mutter wiederfand, so wie sie selbst bald mit der eigenen Mutter wieder vereint sein würde. Wie furchtbar es wäre, sie nie wiederzusehen!
Uri umkreiste jetzt die tote Kamelstute und warf den Kopf hin und her. Es schien, als wüsste er vor Kummer nicht, was er mit sich anfangen sollte. Arabella brach es schier das Herz, und sie schluchzte.
»Ich werde ihn anbinden müssen«, sagte Paddy, ohne auf Arabellas Frage einzugehen. »Sonst kriegen wir ihn nie von hier fort.«
»Wir müssen umkehren«, meinte Jonathan, »wenn wir auf dem Rückweg nicht wieder hier vorbeiwollen.« Das wollte er dem Kamelfohlen nicht antun. Außerdem war Arabella dermaßen aufgewühlt, dass sie den Ausflug zum Callanna Creek ohnehin nicht mehr genießen könnte. Der Tag war ihnen gründlich verdorben worden.
Als Paddy dem Kamelfohlen eine Seilschlinge über den Kopf warf, schlug es aus und gebärdete sich wie toll. Jonathan sprang von seinem Kamel und riss Arabella zur Seite, weil er befürchtete, Uri könnte sie verletzen. Arabella stand wie gelähmt da. Der Anblick des Fohlens, das sich nicht von seiner toten Mutter trennen wollte, erschütterte sie zutiefst. »Binden Sie ihn wieder los!«, drängte sie Paddy.
Doch Paddy war schon wieder aufgestiegen. »Wir können ihn nicht hier zurücklassen«, rief er. Sein Kamel setzte sich in Bewegung, und Uri, der sich angstvoll schreiend loszureißen versuchte, wurde hinterhergeschleift. Arabella, die die Tränen nicht zurückhalten konnte, führte Bess am Halfter und folgte zu Fuß. Jonathan legte tröstend den Arm um sie.
»Uri wird sich schon wieder beruhigen, Arabella. Aber dazu muss er weg von hier.«
Sie wischte sich die Tränen ab und drückte Jonathan die Zügel in die Hand. »Hier, halten Sie. Ich muss zu Uri, ich muss ihm irgendwie helfen!« Schon lief sie dem Fohlen nach.
»Vorsicht!«, mahnte Paddy, als er sah, was sie vorhatte.
»Passen Sie auf!«, rief auch Jonathan, als sie Uri, der sich noch immer nicht beruhigt hatte, gefährlich nahe kam.
Doch Arabella streckte ohne zu zögern die Hand aus und strich dem jungen Kamel liebevoll über die weiche Schnauze. »Alles wird wieder gut«, redete sie besänftigend auf das Tier ein. »Du bist nicht allein, mein Kleiner. Ich bin da und Paddy … und Jonathan. Wir werden uns um dich kümmern, ganz bestimmt.« Sie unterdrückte ein Schluchzen. »Alles wird gut, du wirst sehen. Ich verspreche es.«
Zuerst versuchte Uri, ihre Hand abzuschütteln, doch dann wurde er ruhiger. Obwohl er sich noch einige Male umdrehte und traurig zurückschaute, gab er seinen Widerstand auf und ging fügsam neben Arabella her. Paddy staunte. Er reichte Arabella den Strick, und sie hielt ihn in der einen Hand und streichelte mit der anderen Uris Hals.
Arabella blickte zu Paddy auf. »Woher hat er gewusst, dass es seine Mutter war? Der Kadaver war ja kaum noch als Kamel zu erkennen.«
»Er hat sie am Geruch erkannt«, antwortete Paddy. »Ein Fohlen ist imstande, seine Mutter unter fünfzig Tieren herauszufinden. Bei Lämmern und Mutterschafen ist es genauso. Uns ist das unerklärlich, weil die Tiere für uns alle gleich aussehen.«
»Und woher haben Sie gewusst, dass es Uris Mutter war?«, wollte Arabella wissen.
»Ich hab Ihnen doch erzählt, dass sie vor einem wilden Hengst davongelaufen ist. Als ich den Hengst sah, dachte ich mir gleich, dass eine der beiden Stuten Uris Mutter sein muss. Ich habe sie an der Narbe am rechten Vorderlauf erkannt.«
»Jonathan hat gesagt, gekennzeichnete Kamele dürften nicht geschossen werden. Hat sie denn keine Plakette getragen?«
»Doch, das macht mich ja so wütend! Alle meine Kamele, bis auf die ganz jungen Tiere, sind gekennzeichnet. Wer immer Leila erschossen hat, muss ihre Plakette entfernt haben. Das passiert immer wieder, deshalb halte ich nachts oft Wache bei meinen Tieren, damit sie nicht einem wilden Hengst in die Wüste folgen.«
»Glauben Sie, Uri wird seinen Kummer überwinden?«
»Aber ja. Sobald er entwöhnt ist, geht es ihm wieder gut.«
Sie werde immer für ihn sorgen, wollte Arabella schon versprechen, doch dann fiel ihr ein, dass sie ja nicht wusste, wie lange sie noch in Marree sein würde. Also schwieg sie. Dennoch wollte sie
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