Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
gewesen war und die Kinder versorgt hatte. Natürlich würde Morgan auch in andere Richtungen ermitteln, aber sie war voreingenommen, und das machte mir Sorgen.
»Es war reiner Zufall, dass Sie und Matthew Willard sich am Samstag in der Nähe jenes ominösen Rastplatzes aufhielten?«, fragte sie unvermittelt.
Das konnte ich nun wirklich zu hundert Prozent ehrlich bejahen. »Ja. Wir hatten ursprünglich fest vor, am Freitagabend wieder in Swansea zu sein, sonst hätte ich Alexia ja von Anfang an nicht zugesagt, am Samstag loszufahren. Es war ein vollkommen spontaner Entschluss.«
»Das Seltsame daran ist«, sagte Morgan, »dass Matthew Willard zweimal in der Nähe eines einsamen Rastplatzes war, von dem eine Frau verschwand. Einmal ganz unmittelbar, als er den Hund in einiger Entfernung spazieren führte. Und diesmal lagen zwar ein paar Meilen dazwischen, aber im Grunde war das noch immer ein Katzensprung.«
Ich starrte sie an. Täuschte ich mich, oder schoss sie sich gerade auf ihren dritten Lieblingsverdächtigen ein? Jetzt also Matthew. Der wiederum eindeutig die Theorie stützen würde, dass beide Fälle klar zusammenhingen. War Morgan doch offen für alles und keineswegs voreingenommen – egal, wie verrückt und weit hergeholt einzelne Varianten klingen mochten? Mir begann zu dämmern, dass man vorsichtig sein sollte, diese etwas übergewichtige Polizistin mit der unglücklichen Frisur zu unterschätzen.
»Für Matthew lege ich beide Hände ins Feuer«, sagte ich. »Er war den ganzen Tag mit mir zusammen. Jede einzelne Minute. Und weshalb sollte er Alexia etwas antun? Woher sollte er überhaupt wissen, dass sie auf Motivsuche gehen würde? Ich wusste es ja auch nicht!«
Sie erwiderte nichts, kritzelte nur ein paar Notizen in ihr Buch. Weshalb sollte sie mir glauben? Schließlich konnten Matthew und ich gemeinsame Sache gemacht haben. Schon bei Vanessa. Warum? Vielleicht hatte sie die Erfahrung gemacht, dass das Warum oft keineswegs klar auf der Hand lag. Dass der Täter nicht immer der war, der auf den ersten Blick als der wahrscheinlichste erschien. Der Ehemann. Ein eifersüchtiger Exfreund.
Vielleicht verdächtigte sie in Wahrheit gar nicht Ken und Garrett.
Am Ende verdächtigte sie Matthew und mich.
JUNI
1
Der blaue Toyota fiel mir durch einen Zufall am darauffolgenden Freitagabend ein. Matthew war bei mir wie an jedem Abend. In einer stillschweigenden Übereinkunft hatten wir meine Wohnung zum Treffpunkt und Ort unseres Zusammenseins erkoren und sein Haus – und damit Vanessas Haus – ausgeblendet. Ob das auch so gewesen wäre, wenn Alexia nicht verschwunden und die Geschehnisse um Vanessa damit nicht noch einmal dramatisch aufgewühlt worden wären, weiß ich nicht. Immerhin waren wir tatsächlich einen riesengroßen Schritt, vielleicht sogar hundert riesengroße Schritte, weiter: Der Matthew aus der Zeit vor dem vergangenen Freitag hätte sich im Licht der Ereignisse sofort wieder von mir zurückgezogen und wäre auf Tauchstation gegangen.
Der Matthew von heute hielt daran fest, dass wir eine Beziehung begonnen hatten und zusammengehörten. Er schien mir jedoch in sich gekehrter und verschlossener. In seinem Inneren spielte sich mit Sicherheit viel mehr ab, als er preisgab.
An jenem Abend des 1. Juni kündigte sich Regen an, d ie Temperaturen draußen waren deutlich gesunken, und ein kühler Wind wehte vom Meer her ins Land. Wir hatten alle Dachfenster geöffnet, um die frische Luft hereinzulassen. Matthew saß auf dem Sofa und arbeitete noch an seinem Laptop, ich studierte Broschüren und Studienpläne, die ich mir aus dem Sekretariat der Universität geholt hatte. Max lag auf seiner Decke und schnarchte leise. Ich hatte am Nachmittag gegen vier Uhr die Redaktion verlassen und war noch rasch bei Ken vorbeigefahren. Es gab nichts Neues, aber das hatte ich auch nicht erwartet, ich wollte einfach nur nach ihm sehen und ihn wissen lassen, dass er nicht allein war. Das Gute war – wenn man in seiner Situation überhaupt von etwas Gutem sprechen konnte –, dass er wegen der Kinder und des Haushalts nicht dazu kam, depressiv herumzusitzen und zu grübeln. Er sagte mir, dass er nachts nicht schlafen könne, und das sah man ihm auch an: Er war deutlich am Rande der völligen Erschöpfung. Wegen der Kinder musste er irgendwie durchhalten, und ich hoffte, dass ihn das letztlich nicht nur Kraft kosten, sondern ihm auf eine andere Art auch Kraft zuführen würde. Genau wie Matthew es seit drei Jahren
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