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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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drückte sich nicht.
    Ich kannte Alexia gut genug, um dies mit aller Sicherheit zu wissen.
    Etwas Furchtbares war ihr zugestoßen. Etwas, worauf sie keinen Einfluss gehabt und was sie nicht gewollt hatte. Was sie aber nicht hatte verhindern können.
    Vielleicht war Alexia schon tot. Vielleicht war sie verschleppt worden, wurde irgendwo gefangen gehalten. Litt entsetzliche Qualen und betete um Hilfe.
    Ich fing plötzlich an zu weinen, und gleichzeitig trafen die ersten Regentropfen mein Gesicht. Ich stand da, mit hängenden Armen, gelähmt von Kummer und Angst, und es war nur gut, dass Matthew da war, dass er schnell alle Fenster schloss und mich dann tröstend in die Arme nahm. Ich weinte an seiner Schulter, während Max herankam und meine Hand leckte. Über uns prasselte der Regen auf das Dach.
    Obwohl das irgendwie unsinnig war, musste ich noch mehr weinen bei der Vorstellung, dass Alexia jetzt womöglich fror und nass wurde.
    Ich wollte bei ihr sein, wollte sie retten, sie beschützen.
    Ich ahnte, dass dies wahrscheinlich nicht in meiner Macht stand.
    2
    Alles hatte sich verändert. Nichts war wie zuvor. Und als sie ihm gesagt hatte, sie würde jetzt nicht anders über ihn denken, da hatte sie gelogen. Reflexartig, um ihn zu trösten, um seiner Verzweiflung und seiner Angst die Spitze zu nehmen. Für den Augenblick hatte er den Trost akzeptiert. Inzwischen spürte sie, dass er es wusste. Dass die Welt eingestürzt war und dass sie zwischen den Trümmern herumirrte, dass, ganz gleich, was sie irgendwann vielleicht wieder aufbauen konnte, ein vollkommen anderes Bild entstehen würde.
    Er hatte ihr alles gesagt, rückhaltlos. Er hatte dabei den Kopf nicht aus der Kaffeelache gehoben, und er hatte geweint. Furchtbarerweise war ihr klar gewesen, dass er nicht log. Seitdem sie herausgefunden hatte, dass er sie beschwindelt hatte, was seine angeblich so schreckliche Kindheit betraf, hatte sie manchmal überlegt, was denn nun von all dem, was er sagte und berichtete, stimmte und was nicht. Ihr war klar geworden, dass er der Typ war, der zu schnel len Notlügen griff, wenn er sich damit aus heiklen Situationen winden konnte, und er tat das möglicherweise häufiger und unreflektierter als andere Menschen. Er hatte ihr gegenüber einen bedeutenden Teil seiner eigenen Biografie, ohne mit der Wimper zu zucken, umgeschrieben, und er war dabei so überzeugend gewesen, dass sie keinen Moment an ihm gezweifelt hatte. Er war geübt im Lügen. Dieser Tatsache hatte sie leider ins Auge blicken müssen.
    Aber jetzt log er nicht. Er erfand keine wilde Räuberpistole, aus welchen Gründen auch immer er das hätte tun sollen. Alles, was er über Vanessa Willard und sich erzählte, über das, was sich an jenem Augusttag drei Jahre zuvor und in den Wochen danach zugetragen hatte, stimmte. Sie musste nur seinen völligen seelischen Zusammenbruch miterleben, den er durchlitt, während er sprach, um das zu wissen: Er sagte die Wahrheit. Eine Wahrheit, die furchtbarer war, als ein Mensch sie ertragen konnte.
    »Ich bin ein Monster«, hatte er schluchzend hervorgestoßen, »du siehst das auch, nicht wahr? Du weißt jetzt, dass ich ein Monster bin!«
    »Du bist Ryan«, hatte sie gesagt. »Nach allem, was ich jetzt weiß, denke ich nicht anders über dich als vorher.«
    Damit hatten sie die Rollen getauscht: Er sagte die Wahrheit. Und sie log. Auch deshalb, weil sie das, was sie tatsächlich empfand, nicht hätte in Worte fassen können.
    Schließlich hatte sie auch begriffen, was seinen Zustand ausgelöst hatte. Er hatte eine völlig verworrene Geschichte von einer anderen Frau erzählt, die verschwunden war, und ihr schließlich die Zeitung zugeschoben, und dann hatte Nora es selbst gelesen: von Vanessa Willard, die drei Jahre zuvor auf einem einsam gelegenen Parkplatz möglicherweise gekidnappt worden war und deren Mann bis heute verzweifelt herauszufinden suchte, was geschehen war. Und von Alexia Reece, die seit dem vergangenen Wochenende vermisst wurde und deren verlassenes Auto man auf demselben Parkplatz in demselben Zustand gefunden hatte.
    »Wie seltsam«, sagte sie, und Ryan starrte sie aus wilden, verzweifelten Augen eine Weile lang an, ehe er entgegnete: »Jemand versucht, mich fertigzumachen. Jemand, der alles weiß!«
    Sie begriff nicht gleich. »Wieso? Der Fall Willard ging wochenlang durch die Presse. Selbst ich erinnere mich jetzt. Vielleicht ahmt irgendjemand aus irgendeinem Grund die Umstände nach. So etwas passiert doch

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