Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
Schockstarre des Kaninchens im Angesicht der Schlange gefangen.
Harry, der so dicht hinter ihr war, als habe er gerade versucht, sie zurückzuhalten, hatte das Telefon in der Hand.
»Ich rufe jetzt die Polizei«, verkündete er erneut. Ihm schien nicht klar zu sein, dass Ryan dies keineswegs einfach würde geschehen lassen.
Noch ehe er die Nummer eintippen konnte, war Ryan an der bewegungsunfähigen Vivian vorbei und hatte Harry den Apparat aus der Hand gerissen. Dann holte er aus und versetzte ihm einen kräftigen Schwinger ins Gesicht. Harry kippte ohne einen Laut um und blieb reglos auf dem Boden liegen.
Vivian schrie auf. Endlich kam Leben in sie, aber ehe sie die Haustür erreichen konnte, hatte Ryan sie gepackt und zerrte sie in die Praxis zurück. Ihre Handtasche fiel dabei zu Boden und blieb im Flur liegen.
»Halt den Mund!« Er brachte sein Gesicht dicht an ihres, um sie noch mehr einzuschüchtern und seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Sei ganz still! Wenn du schreist, geht es dir wie ihm hier!« Er wies auf den bewusstlosen Harry. »Kapiert?«
Sie nickte. Sie war völlig geschockt. Ryan war fast sicher, dass sie auf absehbare Zeit weder einen Mucks von sich geben noch einen Fluchtversuch unternehmen würde, aber trotzdem musste sie unschädlich gemacht werden. Er sah sich hastig um. Auf der Fensterbank entdeckte er Harrys Autoschlüssel – da hätte er natürlich ewig in der Küche suchen können – und daneben ein paar lange Bänder, die wahrscheinlich zu irgendwelchen therapeutischen Übungen benutzt wurden. Er schnappte sie sich und fesselte damit Vivians Hände auf dem Rücken. Dann nötigte er die junge Frau auf den Fußboden, sodass sie mit dem Rücken an das neu aufgebaute Regal gelehnt zu sitzen kam. Er band sie an dem Regal fest und fesselte dann ihre Knöchel, wobei sie leise wimmerte, als er den verletzten Fuß berührte. Zum Schluss zog er seine Schuhe aus und streifte eine Socke ab, knäulte sie zusammen.
»Sorry. Es muss sein!« Er schob sie der entsetzten Vivian in den Mund. Von einer dicken Rolle mit weißem Pflasterklebeband riss er ein Stück ab und pappte es zur Sicherheit noch darüber.
Anschließend kümmerte Ryan sich um Harry, fesselte und knebelte ihn ebenfalls. Er schloss die knarrenden Läden vor dem Fenster und der Gartentür, damit niemand – spielende Kinder womöglich, die durch fremde Gärten streiften – die beiden Gefangenen entdecken konnte. Er nahm den Autoschlüssel und das Telefon an sich und verließ den Raum, schloss die Tür hinter sich ab. Er griff Vivians Handtasche und stellte sie auf der untersten Treppenstufe ab. Dann ging er in die Küche und sank dort auf einen Stuhl, überließ sich minutenlang ohne Gegenwehr dem Zittern, das seinen Körper befiel.
Hatte er richtig gehandelt? Auf jeden Fall hatte er kaum eine Wahl gehabt. In der Eile wäre er nicht an ein Auto gekommen, und Harry war drauf und dran gewesen, die Polizei zu verständigen. Nein, er hatte getan, was er tun musste.
Und was jetzt?
Denk nach, Ryan. Denk in aller Ruhe nach. Tu nichts Unüberlegtes! Jeder weitere Schritt ist jetzt von Bedeutung!
Er nahm ein Glas aus dem Abtropfkorb, ließ es mit Wasser volllaufen, trank es in einem Zug leer. Er starrte aus dem Fenster. Die Frau von gegenüber machte sich gerade auf den Weg zum Einkaufen, wie immer um diese Zeit.
Denk nach!
8
Die Polizei hatte Matthew noch am späten Samstagabend informiert, dass man die sterblichen Überreste eines Menschen, mutmaßlich einer Frau, im Pembrokeshire Coast National Park gefunden hatte und dass alle Anzeichen dafür sprächen, es handele sich dabei um Vanessa. Am Sonntag waren DI Morgan, DS Jenkins und ein psychologischer Betreuer in meiner Wohnung erschienen, wo Matthew und ich das Wochenende verbrachten. Sie zeigten uns einen Ring und eine Armbanduhr, die man bei der Toten gefunden hatte, und Matthew identifizierte beides als Vanessas Schmuck. Danach informierte man uns sehr vorsichtig über die näheren Umstände : Die Person, bei der es sich höchstwahrscheinlich um Vanessa handelte, warin einer Kiste eingeschlossen und in einer Höhle versteckt gewesen, ausgestattet mit einer Taschenlampe, Essensvorräten und Wasserflaschen. Wir hörten erstmals den Namen Ryan Lee , erfuhren, dass es sich um einen seit vielen Jahren immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geratenen jungen Mann handelte, der einer Freundin gegenüber gestanden hatte, Vanessa damals auf dem abgelegenen Parkplatz entführt und
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