Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
etwas in mich hineingebracht. Ich kann nicht mehr essen, Ryan. Ich kann nicht mehr schlafen. Ich kann gar nichts mehr. Ich bin wie eine Hülle ohne Leben. Ich glaube, ich will auch gar nicht mehr leben.«
Er stand auf, kam um den Tisch herum und nahm sie in die Arme. »Das darfst du nicht sagen! Natürlich willst du leben. Auch wenn du das jetzt nicht glaubst. Debbie … ach, Debbie …«
Sie weinte leise in sich hinein. Er hielt sie fest, aufgewühlt und verzweifelt bemüht, Trost zu spenden und Kraft zu geben.
Nach einer Weile hob sie den Kopf. »Bitte, Ryan, bleib hier heute Nacht.«
»Debbie«, sagte er, »ich bleibe, solange du willst. Solange du mich brauchst.«
Er würde ein riesiges Problem mit Nora bekommen. Mit Dan, der früh am nächsten Tag mit ihm rechnete. Wahrscheinlich auch mit Melvin, dem Bewährungshelfer.
Zum Teufel mit ihnen allen.
9
Tatsächlich erwartete ihn ein Drama, als er am späten Samstagvormittag nach Pembroke Dock zurückkehrte. Er wäre über das ganze Wochenende in Swansea geblieben, aber Debbie wäre nicht Debbie, wenn sie nicht trotz all ihrer Verstörtheit irgendwann am nächsten Morgen realisiert hätte, dass Ryan mit dem Feuer spielte. Als sie erfuhr, dass er auch samstags arbeitete, ging ihr auf, dass er soeben, noch nicht einmal eine ganze Woche nach seiner Entlassung aus der Haft, bereits unentschuldigt an seinem Arbeitsplatz fehlte. Dass zudem sein Bewährungshelfer keine Ahnung hatte, wo er sich aufhielt, und dass die Frau, die ihm Unterkunft gewährte, vermutlich außer sich vor Sorge war. Dass er dazu noch mit ihrem Auto unterwegs war, machte die ganze Sache nicht besser. Sie hatte darauf gedrängt, dass er zurückfuhr, und um es leichter für ihn zu machen, hatte sie sogar ein wenig Toast mit Marmelade gefrühstückt und zwei Tassen Kaffee getrunken.
Ryan hatte nicht den Eindruck, dass man sie allein lassen durfte. Sie war vollkommen traumatisiert, geschockt und wie erstarrt. Er hoffte, dass sie nicht irgendetwas Dummes tun würde. Er fand, dass sie jemanden brauchte, der ihre Hand hielt, der ihr zuhörte, der sie streichelte, wenn sie weinte, der Essen für sie kochte und ihr so lange gut zuredete, bis sie ein paar Löffel davon zu sich genommen hatte. Aber er begriff, dass sie recht hatte. Er war dabei, sich in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen, wenn er bis Sonntagabend abtauchte. Es war schon jetzt möglich, dass Dan ihn feuerte, und er wusste, dass dies zumindest in den Augen von Melvin Cox einer Katastrophe gleichkäme.
Er ahnte jedoch nicht, dass er bereits für so viel Aufruhr gesorgt hatte. Er parkte Noras Auto und rannte die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf, und noch ehe er dort angekommen war, wurde bereits die Tür aufgerissen. Nora hatte seine Schritte gehört. Aus roten, verschwollenen Augen starrte sie ihn an.
»Wo warst du?« Sie schrie fast. »Wo, verdammt noch mal, warst du?«
»Schrei doch nicht so!«, herrschte er sie an. »K önnen wir das vielleicht in Ruhe besprechen?«
Hinter Nora tauchte ein Mann auf. Es war Melvin Cox.
»Ach! Da bist du ja, Ryan! Wo warst du?«
Ryan blickte Nora an. »Musstest du gleich meinen Bewährungshelfer anrufen? Weil ich einmal nicht pünktlich hier zum Appell antrete?«
»Miss Franklin hat mich nicht angerufen«, sagte Melvin Cox, »sondern Dan, dein Arbeitgeber. Weil du heute früh nicht erschienen bist.«
Ryan seufzte. Klar, dass Dan, der Wichtigtuer, sofort zum Telefonhörer gegriffen hatte. Er wartete nur auf Gelegenheiten wie diese.
»Die Polizei ist da«, fuhr Melvin fort und machte eine Kopfbewegung zum Inneren der Wohnung hin.
»Die Polizei? Ihr habt die Polizei verständigt?«
»Natürlich nicht«, sagte Melvin ungeduldig. »Die sind von selbst vor einer halben Stunde hier bei Miss Franklin aufgekreuzt. Wollen dich dringend sprechen. Es war natürlich nicht unbedingt günstig, dass keiner von uns wusste, wo du dich gerade aufhältst.«
»Wo warst du?«, wiederholte Nora mit brüchiger Stimme.
»Ich war bei einer alten Freundin. Es geht ihr sehr schlecht.«
»So schlecht, dass du gleich dort übernachten musstest?«
»Ja.«
»Und du konntest mich nicht anrufen? Oder wenigstens einen Zettel hinterlassen?«
Er zuckte mit den Schultern. Was sollte er sagen? Natürlich war es nicht in Ordnung gewesen. Aber er wusste auch, dass sie seine Erklärung nicht verstanden hätte. Dass er plötzlich gemeint hatte, alles nicht mehr auszuhalten, dass er sich in die Enge getrieben fühlte, dass er
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