Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
Unsere Trennung liegt sechs Jahre zurück! In der Zwischenzeit hatte ich sogar wieder ein paar Monate lang bei ihr gewohnt, weil ich keine andere Bleibe fand. Gestern Abend bat sie mich, nicht zu gehen, weil sie so verzweifelt war. Wir sind sehr gute Freunde, Inspector.«
»Verstehe«, sagte Morgan. Sie machte sich ein paar Notizen. »Dennoch wohnen Sie jetzt nach Ihrer Haftentlassung hier. Bei Miss Franklin. Nicht bei einer guten Freundin ?«
Das ist ja auch irgendwie verkehrt, dachte Ryan, genau das ist ja eines meiner Probleme.
»Sie wissen, weshalb ich im Gefängnis war?«, fragte er.
»Ja. GBH .« Das war die bei Polizei und Justiz gängige Abkürzung für seine Tat. Grievous bodily harm.
»Debbie hat sich nicht gemeldet, während ich im Gefängnis war, und …«
Morgan zog erneut die Augenbrauen hoch. »Ihre gute Freundin meldet sich nicht, wenn Sie zweieinhalb Jahre lang im Gefängnis sitzen? In der Stadt, in der sie selbst wohnt?«
»Sie hatte ein Problem damit …«
»Mit Ihrer Tat?«
»Hätten Sie das nicht?«, fragte Ryan.
»Aber auch das hat Sie nicht wütend gemacht?«, gab Morgan anstelle einer Antwort zurück. »Deborah Dobsons eisiges Schweigen? Ihr völliger Rückzug?«
»Nein.«
»Nein? Nach allem, was ich über Sie weiß, gehört Selbstbeherrschung nicht gerade zu Ihren großen Stärken. Sie neigen zu ziemlich heftiger Wut. Zu unkontrollierbarer Wut, möchte man sagen.«
»Ich habe freiwillig ein Anti-Aggressions-Training im Gefängnis gemacht«, sagte Ryan.
»Also Ihnen war auch klar, dass da Kräfte in Ihnen wirken, die Sie irgendwie beherrschen müssen?«
Ryan hatte das Gefühl, dass das Gespräch in eine falsche Richtung zu laufen begann. Was war er in den Augen dieser Beamtin? Ein unbeherrschter Hitzkopf, der einen anderen Mann krankenhausreif geschlagen hatte, weil dieser in besoffenem Zustand herumgepöbelt hatte. Das war leider nicht zu bestreiten. Aber ein Typ, der mit der Zurückweisung einer Frau nicht zurechtkam und, kaum raus aus dem Knast, hinging und sie gemeinsam mit einem Kumpel vergewaltigte?
»Der Junge damals hatte mich provoziert, Inspector. Ich wollte ihn aber nicht so schwer verletzen. Natürlich musste ich dann etwas unternehmen. So etwas … darf mir nicht mehr passieren.«
»Und Sie meinen, Sie waren erfolgreich?«
»Ich glaube, ja.«
»Sie glauben?«
»Inspector!« Er machte eine hilflose Bewegung mit beiden Armen, suchte nach einer Erklärung, die sein Gegenüber als absolut einleuchtend empfinden musste, und fand sie nicht. »Ich würde so etwas nie tun«, sagte er schließlich und dachte, dass das wenig überzeugend klang. »Ich bin kein Vergewaltiger, Inspector Morgan.«
Morgan blickte skeptisch drein. Vielleicht glaubte sie ihm, vielleicht auch nicht. Eher nicht, wie ihm schien, was kein Wunder war angesichts all dessen, was er schon auf dem Kerbholz hatte. »Die Kneipe, in der sich Deborah Dobson unmittelbar vor der Tat aufhielt, das Pump House unten in der Swansea Marina … Ist es richtig, dass das früher Ihrer beider Stammkneipe war?«
Du hast aber gut recherchiert, dachte Ryan.
»Ja«, bestätigte er.
»Sie konnten also davon ausgehen, dass sie dort sein würde. Zumindest bestand eine ziemlich hohe Wahrscheinlichkeit. Ebenso war Ihnen natürlich Deborah Dobsons Heimweg von dort aus bekannt.«
»Ich hatte keine Ahnung, dass Debbie an diesem Abend dort war. Außerdem war ich ein paar Stunden vorher aus dem Gefängnis gekommen. Glauben Sie, dass ich als Erstes dann gleich die nächste Straftat plane?«
Er sah den anhaltenden Zweifel in ihrem Gesicht und zückte die letzte Trumpfkarte. »Abgesehen davon, ich habe ein Alibi. Ich war den ganzen Abend, die ganze Nacht hier. Sie können Nora Franklin fragen!«
»Das habe ich schon getan«, sagte Morgan.
»Und sie hat das bestätigt?«
»Ja.«
Ihm schwante zweierlei: Zum einen vermutete er, dass Nora nichts davon erwähnt hatte, zu welch frühem Zeitpunkt er sich an jenem Abend zurückgezogen hatte – was ihm rein theoretisch die Möglichkeit eingeräumt hätte, heimlich das Zimmer zu verlassen und sogar noch rechtzeitig in Swansea zu sein. Theoretisch insofern, als es angesichts von Noras ausgeprägten Wachhundqualitäten natürlich nicht denkbar gewesen wäre. Zum anderen aber hatte er den Eindruck, dass DI Morgan ohnehin an Noras Aussage zweifelte. Die Frau sah klug und erfahren aus, und eine ausgeprägte Menschenkenntnis gehörte zu ihrem Beruf. Ganz sicher hatte sie ihre eigene
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