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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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verzweifelt nach irgendeinem Anker in seinem alten Leben, in dem vertrauten Dasein vor der Gefängniszeit, gesucht hatte. Genau das also, was er in ihren Augen und in denen von Melvin Cox keinesfalls tun sollte.
    Eine dritte Person tauchte nun im Türrahmen auf, eine knapp fünfzigjährige Frau, die ihre Haare zu lang für ihr Alter trug und etwas zu dick war. Sie hielt ihm einen Ausweis vor die Nase.
    »Detective Inspector Olivia Morgan, South Wales Police. Sie sind Mr. Ryan Lee?«
    »Ja«, sagte Ryan. Er hatte ein komisches Gefühl im Bauch. Wenn diese Polizistin nicht wegen seines nächtlichen Verschwindens hier war – und tatsächlich schien es ungewöhnlich, dass man deshalb gleich eine hochrangige Kriminalbeamtin auf ihn angesetzt haben sollte –, weshalb hatte sie dann hier auf ihn gewartet?
    Er schluckte trocken. Seit der Geschichte im Fox Valley wartete er darauf, dass jemand aufkreuzte, der ihm auf die Schliche gekommen war, obwohl er sich bereits hunderttausend Mal gesagt hatte, dass dies mit jedem Tag, der verging, unwahrscheinlicher wurde. Wären er oder sein Auto an jenem lang zurückliegenden Augusttag jemandem aufgefallen, hätte sich diese Person längst gemeldet. Hätte jemand die Höhle und das, was sich darin befand, entdeckt, so hätte man niemals einen Rückschluss auf ihn ziehen können. Es gab nichts dort, was auf ihn hinwies, nichts, was man mit ihm hätte in Verbindung bringen können. Er hatte immer Handschuhe getragen, wenn er die Höhle erneut aufgesucht hatte, und er konnte sich nicht vorstellen, dass nach fast zwanzig Jahren die Fingerabdrücke des kleinen Jungen, der er einst gewesen war, noch festgestellt werden konnten. Nicht in der Feuchtigkeit, die dort herrschte, nach all dem Regen und Schnee, der auch ins Innere des Felsens gedrungen war über die ganze Zeit. Und dennoch … Vielleicht war es fast eine Art Aberglaube … Im tiefsten Inneren war er davon überzeugt, dass man mit einem so furchtbaren Verbrechen nicht einfach davonkam. Es war zu schlimm gewesen. Andere Leute klauten einen Schokoriegel und landeten bei der Polizei. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er unbehelligt bis ans Ende seiner Tage leben würde, und niemals würde es eine von wem auch immer gelenkte und gesteuerte Vergeltung für … die Geschichte geben.
    »Ja«, sagte er noch mal. Seine Stimme hörte sich seltsam an. Er räusperte sich.
    »Kann ich Sie sprechen?«, fragte DI Morgan.
    »Ja«, sagte er zum dritten Mal.
    Er folgte der Polizistin in Noras Wohnzimmer. Morgan schloss mit einem gewissen Nachdruck die Tür und sperrte Nora und Melvin damit aus. Sie setzte sich an den Esstisch und wies Ryan an, ihr gegenüber Platz zu nehmen.
    »Kennen Sie eine Deborah Dobson? Aus Swansea?«
    Das war wirklich verrückt. Aber jetzt wurde ihm der Zusammenhang klar, und er atmete tief durch. Natürlich. Nach dem brutalen Überfall auf Debbie durchkämmten sie deren Umfeld. Irgendjemand hatte vermutlich seinen Namen erwähnt. Deborahs Exfreund. Sie wussten, dass er im Gefängnis gewesen war und wo er jetzt wohnte. Obwohl ihn seine gesamte Biographie natürlich nicht gerade zum unwahrscheinlichsten Tatverdächtigen machte, konnte er sich entspannen. In diesem Fall wenigstens hatte er ein reines Gewissen.
    »Ja. Ich kenne sie. Ich komme gerade von ihr.«
    Morgan zog die Augenbrauen hoch. »Von Deborah Dobson?«
    »Ja. Ich wollte sie einfach nur besuchen. Ich wusste nicht, dass sie … dass sie überfallen wurde. Es ging ihr sehr schlecht gestern Abend. Deshalb bin ich bei ihr geblieben.«
    »Sie beide hatten eine knapp vier Jahre andauernde Beziehung. Von 2002 bis 2006. Ist das richtig?«
    »Ja.«
    »Wer beendete diese Beziehung?«
    »Deborah.«
    »Weshalb?«
    »Weil … Da kamen viele Gründe zusammen. Wir hatten eine unterschiedliche Lebenseinstellung, unterschiedliche Lebensziele. Außerdem …«
    »Ja?«
    Polizisten gegenüber, das hatte er gelernt, war es am sinnvollsten, so lange pedantisch bei der Wahrheit zu bleiben, wie man selbst von dieser Wahrheit nicht geschädigt werden konnte. »Sie haben sich bestimmt über mich informiert«, sagte er. »Ich kam immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Das war unser großer Streitpunkt. Debbie hatte dafür nicht das geringste Verständnis. Deshalb setzte sie mich vor die Tür.«
    »Was Sie ziemlich wütend machte?«
    »Zuerst ja. Aber irgendwie habe ich sie auch verstanden.«
    »Sie hegen keinen Groll gegen sie?«
    »Nein!« Ryan schüttelte vehement den Kopf. »Nein!

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