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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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passender gewesen. Sein vor wenigen Sekunden noch entrückter Blick war mit einem Mal wach und hart. »Bleiben Sie sitzen«, zischte er. »Hören Sie mir zu, sonst bekommen Sie großen Ärger.«
    »Was wollen Sie von mir?«, wiederholte Anna schrill. Die ersten Gäste drehten neugierig ihre Köpfe.
    »Was haben Sie mit Sylvain Meunier zu schaffen?« Als er sah, wie Anna auffuhr, machte er eine beschwichtigende Handbewegung. »Unterbrechen Sie mich nicht. Um ihre Frage vorwegzunehmen: Sie und Ihre Freunde haben vor ein paar Tagen seinen Namen laut genug herausgebrüllt. Leider habe ich erst zu spät an den Nebentisch wechseln und somit nicht herausfinden können, in welchem Verhältnis Sie zu ihm stehen.« Er kniff die Augen zusammen. »Kennen werden Sie ihn wohl kaum. Sylvain ist seit über dreißig Jahren tot. Warum stochern Sie in der Vergangenheit herum?«
    Anna fühlte sich wie betäubt. Ausgerechnet dieser seltsame Heilige entpuppte sich als Bindeglied zu ihrem Vater. Wäre es doch nur ein anderer gewesen, jemand, dem sie ihr Vertrauen leichter hätte schenken mögen!
    »Sie kannten Sylvain?«
    »Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«
    Anna wartete, aber der Alte besaß mehr Geduld. Schließlich fasste sie sich ein Herz. Ihre Geschichte war kein Geheimnis, auch wenn ihr Gegenüber das anders sah. »Ich bin Annapurna, die Tochter von Babsi Eckle und Sylvain Meunier«, sagte sie fest.
    »Was?«
    Anna erschrak über die heftige Reaktion des Sadhus. Er hatte unwillkürlich zu seinem Dreizack gegriffen und klammerte sich Halt suchend daran fest. In seinem bemalten Gesicht spiegelten sich Überraschung und Entsetzen, und es verging einige Zeit, bis er seine Züge wieder unter Kontrolle hatte.
    »Das ist unmöglich«, sagte er schließlich. »Sylvain hatte keine Kinder.«
    »Zumindest keine, von denen er wusste«, sagte Anna trocken. »Ihr Freund, ich nehme jedenfalls an, Sie waren befreundet, hatte durchaus ein Sexualleben. Und dabei entstehen hin und wieder Kinder.«
    »Zut alors!«
    Also kein Italiener, wie Uma angenommen und seine italienische Bezeichnung des heiligen Franz nahegelegt hätte, sondern ein Franzose, dachte Anna. Menschen fluchten immer in ihrer Muttersprache. Auch wenn es klang, als hätte er sie lange nicht benutzt. »Den Grund zu fluchen, hätte wohl eher ich«, sagte sie. »Ich habe es nämlich auch erst vor wenigen Tagen erfahren.«
    »Können Sie es beweisen?« Der Alte wirkte, als hätte man ihm die Luft abgelassen.
    Anna zuckte die Achseln. »Nein. Meine Papiere sind gefälscht, und meine Eltern tot. Ich kann mich lediglich auf die Erzählung einer guten Freundin meiner Mutter berufen. Ihr Name ist Ingrid. Ingrid Doggenfuss.«
    »Babsi ist tot?«, stotterte er, ohne darauf einzugehen, ob er Ingrid kannte oder nicht.
    »Ein Unfall. Vielleicht aber auch Selbstmord. Meine Mutter war ihr Leben lang traurig.« Anna schluckte. Gleich sprang er sie wieder an, der Verdacht, dass ihre Mutter nicht geträumt, sondern sich in vollem Bewusstsein der Ebbe ausgeliefert hatte. Dann fiel ihr etwas ein. Sie öffnete den Verschluss ihrer Kette und reichte sie dem Sadhu. »Reicht Ihnen dieser Anhänger als Beweis?«
    Er untersuchte die Silberplatte mit den Türkisen und Korallen eingehend. Anna beobachtete seine Miene, konnte aber nichts daraus lesen.
    »Er reicht mir«, sagte er schließlich. »Und jetzt? Was wollen Sie wissen?«
    »Alles, was Sie mir über meinen Vater berichten können, und auch über meine Mutter. Wie waren sie, wie haben Sie die beiden erlebt?«
    Er unterbrach sie. »Ich bin kaum der Richtige für Ihre Fragen. Aber es gibt in Nepal jemanden, der Sylvain und Babsi gut kannte und Ihnen wesentlich mehr erzählen könnte.«
    »Bringen Sie mich zu ihm!«
    »Das ist nicht einfach. Er hat Kathmandu vor kurzem verlassen, um in sein Bergversteck zurückzukehren.«
    »Bergversteck? Wie meinen Sie das?«
    »Wie ich es sagte. Der Pangje kommt viel herum und sieht mehr als andere.« Er hatte seine Stimme zu einem Flüstern gesenkt, so dass Anna ihn kaum verstehen konnte.
    »Wer ist der Pangje?«, fragte sie.
    »Nicht so laut! Am besten, Sie vergessen es sofort wieder«, erwiderte er scharf. Er wollte gerade noch einen Satz anfügen, als er plötzlich erstarrte. Etwas hinter Annas Rücken erregte seine Aufmerksamkeit. Sie drehte sich um. Der Raum hatte sich bis auf den letzten Platz gefüllt, während sie mit dem Herrn der Vögel gesprochen hatte, aber niemand interessierte sich für sie. Der Alte beugte

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