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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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Nach dem Gespräch mit dem Professor hatte er sofort beschlossen, Anna in Nepal zu überraschen. Ob die Überraschung willkommen war oder nicht, würde er morgen erfahren. Bis dahin musste er die von der Ungewissheit hervorgerufenen Bauchschmerzen ertragen wie ein Mann. Wie ein liebeskranker Mann, dachte er. Ich habe mich Hals über Kopf in Anna verknallt, und wenn sie nicht so empfindet wie ich, steht mir eine schlimme Zeit bevor.
     
    Die Twin Otter nahm geräuschvoll Anlauf und erhob sich in den über dem Tal liegenden Dunst. Trotz ihrer Jacke fror Anna in dem kleinen Flugzeug, das nicht für große Höhen ausgelegt und dessen Außenisolierung dementsprechend dünn war. Sie presste die Stirn an das Flugzeugfenster und blickte auf die dunkelrote Stadt hinunter. Zwar hatte die Morgendämmerung schon eingesetzt, doch das Kathmandu-Tal lag noch im Schatten der Berge, lediglich die weiße Halbkugel des Bodhnath-Tempels ließ sich deutlich ausmachen. Das Flugzeug kippte nach links, beschrieb einen Viertelkreis, durchbrach die Dunstschicht und schwang sich in das eisvogelblaue Himmelsgewölbe.
    Anna stieß unwillkürlich die Luft aus. Achim hatte aus gutem Grund darauf bestanden, dass sie sich auf die rechte, nach Norden zeigende Seite setzte, dorthin, wo nun die gewaltige Barriere des Himalayas zum verblassenden Mond hinaufwuchs, die Schneegipfel gehüllt in gelbe und violette, orange- und rosafarbene Tücher, gewebt aus den Strahlen der aufgehenden Sonne.
    Achim löste seinen Sicherheitsgurt und nahm den Platz hinter Anna ein. Mit leiser Stimme begrüßte er die Berge mit ihren magisch klingenden Namen: Langtang Lirung, Shisha Pangma, Ganesh Himal, dann, nach einer Viertelstunde, Gorkha Himal mit Himal Chuli und dem über achttausend Meter hohen Manaslu.
    »Ist es dort passiert?«, fragte Anna beklommen.
    Der Gebirgsstock des Gorkha Himal unterschied sich kaum von dem des Langtang- oder Ganesh-Himal-Massivs: Ähnlich waren sich die schartigen, zerklüfteten Gipfelregionen, die Gletscher und Schneefelder, ähnlich die Vorgebirge mit ihren tiefeingeschnittenen Tälern, durch deren Grund sich die hellen Bänder der Flüsse wanden, ähnlich die schwarzgrünen Wälder und die dunkelbraune Erde, nur selten unterbrochen vom leuchtenden Grün eines noch spät im Jahr bestellten Feldes. Und doch empfand Anna das Bergmassiv als bedrohlich. An seinen steil abfallenden Flanken war ihr Vater umgekommen.
    Anna löste den Blick von den Gipfeln und sah nach unten. Sie flogen tief genug, um die Dörfer des Mahabharat zu erkennen, trotzige Zeugnisse der Willenskraft ihrer Bewohner, die sich in einer für die Besiedlung durch Menschen wenig tauglichen Welt behaupteten. Sie krallten sich an die Hänge, beanspruchten jede halbwegs beackerbare Fläche und hatten dem Land ein engmaschiges Netz aus Wegen übergeworfen.
    Das Flugzeug hatte kaum den Manaslu hinter sich gelassen, als die Stewardess zu Anna trat und sie aufforderte, ins Cockpit zu kommen. Anna drehte sich überrascht zu Achim um. Er nickte bestätigend. »Wenn ich schon ein Flugzeug chartere, werde ich meinem Gast doch den großartigsten Ausblick der Welt nicht vorenthalten«, sagte er. »Ich komme mit, um dir alles zu erklären.«
    Der Blick aus dem Cockpit war umwerfend. Die lange Kette des Himalayas schälte sich aus dem Dunst im Westen und erstreckte sich bis in den Nordosten, wo Anna den Everest und den Kangchenjunga vermutete. Direkt vor der Nase des Flugzeugs erhob sich die perfekt geformte Pyramide eines frei stehenden Gipfels etwas südlich des Hauptkamms.
    »Der Machapuchare. Keiner der höchsten, doch einer der schönsten Berge, wie ich finde«, bemerkte Achim. »Niemand hat ihn bisher erklommen, denn er ist den Nepalesen heilig.«
    »Und alle halten sich daran?«
    »Nicht unbedingt, aber es gibt schon seit Jahrzehnten keine Besteigungserlaubnis mehr. Irgendwann in den Fünfzigern hätten einige Bergsteiger, ich glaube, sie waren Engländer, beinahe den Gipfel erreicht, mussten aber wegen technischer Probleme den Versuch abbrechen. Es geht allerdings das Gerücht, ihre nepalesischen Begleiter hätten sie wenige Meter unterhalb des höchsten Punktes zur Umkehr gezwungen.«
    »Schon wieder ein Gerücht. Diese Berge sind getränkt mit Legenden, Gerüchten und Mythen.«
    »Wundert es dich?«
    Anna schüttelte den Kopf. Der Pilot flog eine sanfte Rechtskurve, und sie nahmen Kurs nach Norden, direkt auf die Berge zu.
    Achim wies rechts voraus auf einen Gipfel. »Darf ich

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