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Im Tal des Vajont

Im Tal des Vajont

Titel: Im Tal des Vajont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mauro Corona
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den Stall gekommen, weil Raggio hinab ins Zemolatal gegangen war, um die passenden Hölzer für einen neuen Schlitten zu besorgen, und so fühlten wir uns für einen halben Tag ziemlich sicher. Aber er hatte seine Hölzer schnell gefunden und kehrte vorzeitig zurück mit dem Gedanken, bei mir im Stall vorbeizuschauen. Und so sah er sie aus meinem Stall kommen, als er von der San-Romedio-Höhe abstieg, denn von dort hat man einen guten Überblick, und die Distanzen verkürzen sich. Er rief ihr zu, sie solle stehen bleiben. Dann kam er hinunter zum Stall und fragte sie, was sie denn zu dieser späten Zeit, es war vier Uhr nachmittags, bei mir mache. Von drinnen hörte ich sie antworten, dass sie nur etwas Salz für die Ziegen holen gekommen sei, aber auf seine Frage, wo das Salz denn wäre, wusste sie nichts mehr zu antworten, schließlich trug sie ja kein einziges Korn bei sich. Da trat ich schnell hinaus und sagte Raggio, dass sie mich tatsächlich um Salz gebeten hätte, aber meins sei mir auch ausgegangen, und dass ich ebendiesen Abend noch zu Pilin gehen wollte, um mir ein Kilo zu holen. Und da ich nicht mehr weiterwusste, sagte ich ihm noch, ich müsse mit ihm reden. Raggio war inzwischen ganz ernst geworden und erwiderte, das sei aber merkwürdig, dass nicht einmal ich Salz im Stall hätte. »Alle ohne Salz heute«, brummte er. Daraufhin wandte er sich zu seiner Frau und sagte ihr, dass es im Haus Salz gebe, so viel sie wolle, worauf sie schlagfertig erwiderte, dass sie auf der Stelle etwas gebraucht hatte, um die Ziegen vom Pradònhang herunterzubringen, und die Salztasche habe sie in der Küche am Nagel vergessen. Da sagte Raggio erst einmal nichts mehr, schaute mir in die Augen, dann verabschiedete er sich mit gesenktem Kopf und machte sich mit seiner Frau auf den Weg bergab.
    Ich verstand gleich, dass ihn die Geschichte mit dem Salz kaum überzeugt hatte, und begann mir tief im Innern darüber Sorgen zu machen. Von nun an müssen wir besser aufpassen, dachte ich, denn jetzt hatte er Verdacht geschöpft und würde seinerseits genauer auf uns achten und uns dabei womöglich bei frischer Tat ertappen.
    Zwei Tage später redete ich nochmals in der Molkerei mit ihr darüber, während Raggio hinausgegangen war, um Holz für den Heizkessel zu holen. Mit der selbstverständlichen Einfachheit eines dahinfließenden Baches sagte sie, dass man ihn nur aus dem Weg zu schaffen bräuchte, und alles würde sich von selbst erledigen. Nunmehr redete sie jedes Mal, wenn wir uns trafen, wie besessen davon, dass wir Raggio umbringen müssten, um frei zu sein, immer wieder rieb sie es mir unter die Nase, und ich antwortete schon gar nichts mehr darauf, seit Langem schon wollte ich nichts mehr wissen von ihrem niederträchtigen Plan.

An einem Tag waren wir, ich und Raggio, gezwungen, ein Kalb zu schlachten, das sich ein Bein gebrochen hatte, als es, übergierig, in den Futtertrog springen wollte. Nachdem wir ihm das Fell abgezogen, es zerteilt und den Hodensack für die Labgewinnung zum Räuchern aufgehängt hatten, schlug Raggio vor, am Sonntag vor Weihnachten einen kleinen Braten davon auf der Glut zu rösten. Und so wurde es dann auch gemacht. Wir luden noch meinen Bruder Bastianin ein und auch einige derer, die Raggio beim Hausbauen geholfen hatten. Während das Feuer langsam abbrannte und immer mehr Glut bildete, sprachen wir über den armen Nacio Baldo, und Raggio sagte, er hätte lieber wie die Ziegen in einer Grotte gehaust, wenn er geahnt hätte, dass Nacio sterben musste, als er ihm beim Hausbau half. Währenddessen begann sie, Raggios Frau, damit, die Fleischstücke auf die Spieße aufzuziehen, die dann zum Rösten über der bronzefarben züngelnden Glut gedreht wurden. Dazu wurde schwarzes Hainbuchenholz verwendet, denn so nahm das Fleisch keinen unangenehmen Geruch an. Dabei fiel mir auf, dass sie zweierlei Arten Spieße benutzte. Welche aus Haselnuss, wie es sich gehört, andere wiederum aus einem gelblichen Holz. Auf diese aus gelblichem Holz hatte sie nun vier bis fünf Fleischstücke samt einem Fettstreifen gesteckt und sagte, die seien für ihren Mann, weil er gern etwas Fett dazu isst. Ich verstand nicht so recht, warum sie zwei verschiedene Arten Spieße verwendete und fragte sie. Sie habe nicht genug Haselnussstöcke zur Hand gehabt, antwortete sie, und so, damit es schneller ging, auch anderes Holz, das ihr gerade unterkam, geschnitten. Da wurde ich stutzig, denn zu sagen, es hätte nicht genug

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