Im Taumel der Sehnsucht
über die Worte ihres Vaters nachdachte, desto verwirrter wurde sie. »Vater, noch eine letzte Frage, dann können wir das Thema wechseln, ja?«
»Und?« Wieder erschien ein warmes Lächeln auf seinen Lippen, und es versetzte Caroline einen Stich. Sie wollte ihm nicht wehtun, aber sie mußte die Frage stellen.
»Warum hast du mich denn weggeschickt? Mama, ich meine Tante Mary, hat mir immer erzählt, daß der Tod meiner richtigen Mutter dir einen solchen Schlag versetzt hat, daß du dich nicht um mich kümmern konntest. Sie sagte, daß du immer nur das Beste für mich wolltest und geglaubt hast, daß ich bei ihnen glücklicher sein würde. Ist das die Wahrheit? Und wenn sie es ist«, fuhr sie rasch fort, bevor ihr Vater sie unterbrechen konnte, »warum hast du mich so lange dortbleiben lassen?«
Die Frage, die sie wirklich bedrückte, ließ sie unausgesprochen. Vielleicht hatte ihr Vater sie nicht zurück haben wollen. Aber was war die ganze Wahrheit? War sie irgendwie das Opfer einer Fehde zwischen den beiden Familien gewesen? War sie weggeschickt worden, um den Marquis für irgend etwas zu bestrafen? Oder hatte ihr Vater sie nicht geliebt... nicht genug geliebt?
Caroline legte ihre Stirn in Falten, als sie, wie schon so oft, über all die Möglichkeiten und deren Folgen nachdachte. Die schlichte Erklärung ihrer Tante war vor allem das gewesen... schlicht! Vielleicht hatte sie damals ausgereicht, als Caroline noch ein vertrauensvolles, naives Kind gewesen war; für die erwachsene Caroline war es jedoch nicht genug. Immer wieder hatte sie versucht, den wahren Grund dafür zu finden, warum ihr Vater sie damals fortgeschickt hatte, aber was auch immer ihr eingefallen war, keine Erklärung hatte näherer Betrachtung standgehalten. Und nun hatte sie die Bilder gesehen, die er in seinem Arbeitszimmer aufgehängt hatte. Warum hatte er sie aufgehoben?
»Bitte hab noch ein wenig Geduld, Caroline«, sagte der Earl. Seine Stimme, auf einmal schroff, machte ihr deutlich, daß er dieses Gespräch beenden wollte. »Ich tat damals wirklich, was ich für das beste hielt, und ich verspreche dir, daß ich dir eines Tages alles erklären werde.« Er räusperte sich und begann, den verschütteten Tee mit der Serviette aufzuwischen. »Und jetzt bist du sicher hungrig. Marie!« rief er laut in Richtung Tür. »Bring uns Frühstück. Und frischen Tee!«
»Ich bin eigentlich nicht sehr hungrig«, sagte Caroline zögernd. »Die ganze Aufregung hat mir den Appetit genommen.«
»Nun, im Grunde solltest du froh sein«, erwiderte ihr Vater. »Marie ist meine neue Köchin, und ihre Kochkünste lassen sehr zu wünschen übrig. Sie ist schon die dritte in diesem Jahr.« Er seufzte. »In meinem Haushalt funktioniert selten etwas so, wie es sollte.«
Caroline lächelte, wobei sie an die unzähligen Fragen dachte, die zu stellen sie sich sehnte. Doch als kurz darauf das Frühstück gebracht wurde und sie zu essen begannen, lenkte ihr Vater das Gespräch geschickt auf andere Themen.
Als die Teller abgeräumt wurden, hatte Caroline fast nichts angerührt. Die Köchin besaß wirklich kein besonderes Talent. Die Brötchen waren so hart, daß man sich einen Zahn hätte ausbeißen können, der Fisch trocken und pappig. Die Marmelade, die, aus der Staubschicht auf dem Deckelglas zu schließen, schon recht alt war, war gegoren und sauer. Als sie ihrem Vater in die Bibliothek folgte, überlegte Caroline, ob sie nicht Benjamin um Hilfe bitte sollte. Er kochte sehr gern und betätigte sich in Boston oft und mit Begeisterung in der Küche.
Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Vater zu. Er stand vor ihren Kunstwerken und lächelte stolz, als er ihr zeigte, wie er jedes ihrer Bilder auf der Rückseite mit einem Datum versehen hatte. Auf diese Art und Weise, erklärte er ihr, hatte er ihre Entwicklung verfolgen können.
»Ich habe es aufgegeben, zu malen«, sagte Caroline mit einem Lachen. »Wie du ja siehst, Vater, fehlt es mir an Begabung.«
»Das ist doch nicht wichtig. Henry hat mir übrigens geschrieben, daß du eine gute Schülerin bist, die ein Ohr für Sprachen hat.«
»Ja, das stimmt«, gab Caroline zu, »doch leider ist mein Akzent immer jämmerlich.« Sie lächelte und setzte hinzu: »Immerhin heißt es, daß ich eine durchaus erträgliche Singstimme habe und ganz gut Spinett spielen kann. Allerdings kam das Kompliment von meiner Familie, und die ist vielleicht ein wenig voreingenommen.«
Ihr Vater lachte. »Keine Angst, ich
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