Im Taxi - unterwegs in Kairo
schlimmer.
Schliesslich brach der Fahrer das Schweigen. »Gerade hatte ich einen Fahrgast, der meinte, dass hinter dem Attentat vom Chan al-Chalîli 34 nicht die Islamisten stecken. Die Regierung soll es gewesen sein, die vor der Präsidentschaftswahl die Leute auf ihre Seite ziehen und sie gegen die Islamisten aufhetzen wollte. Ãbrigens haben mir andere Leute das Gleiche erzählt. Was halten Sie davon?«
»Meiner Meinung nach ist das Blödsinn, eine Pervertierung der Fakten und eine Frechheit. Die Islamisten haben in den letzten dreissig Jahren mehrere solche Terroranschläge verübt. Sie haben der Gesellschaft und letztlich sich selbst geschadet, aber sie machen weiter. Keiner versteht, warum, und keinerweiss, wer dahintersteht und sie finanziert. Was halten Sie denn davon?«
»Die Regierung ist schwach, die wüsste gar nicht, wie man so was macht. Wenn sie in der Lage wäre, etwas so sorgfältig zu planen, dann wären wir nicht in dieser Misere. Um politische Aktionen dieser Art durchzuziehen, braucht es Wagemut, Entschlossenheit und eine gründliche Vorbereitung. Wir arme Teufel können das gar nicht. Der israelischen Regierung wäre es zuzutrauen, aber uns? Unmöglich!«
»Sie meinen also, feige Anschläge auf Zivilisten seien ein Zeichen von Stärke? Was ist das denn für ein Quatsch?«
»Politik war immer ein schmutziges Geschäft. Wir wissen doch alle, dass die Amerikaner die Zwillingstürme in New York selber gesprengt und es dann den Islamisten angehängt haben. In der Politik heisst es doch: Der Zweck heiligt die Mittel. Wir stehen kurz vor den Wahlen, und da ist alles erlaubt. Die Regierung muss die Islamisten in den Dreck ziehen, damit die Leute sagen, sie würden die Wirtschaft noch mehr ruinieren.«
»Was reden Sie da? Gibt es denn gar keinen Anstand mehr? Kein Recht? Keine Verfassung? Denken Sie, wir leben im Dschungel?«
»Warum nicht? Was denken Sie denn, wo wir leben? In einer richtigen Stadt? Der Dschungel wäre doch eine wahre Gnade im Vergleich zu dem Ort, an dem wir uns befinden. Wissen Sie eigentlich, wo wir leben?«
»Wo denn?«
»In der Hölle.«
20
Die Parlamentswahlen waren vorbei. Wie üblich wurden sie von Gewaltakten begleitet. In der Folge waren sämtliche Oppositionsparteien von links bis rechts von der Bildfläche verschwunden und nur zwei Strömungen übrig geblieben: die Regierungspartei 35 und die Muslimbruderschaft â oder wie die Presse sie nannte: »die verbotene Gruppe der Muslimbrüder«.
»Sie muss verboten bleiben«, meinte der Fahrer, »damit man die Brüder jederzeit verhaften kann, wenn sie übermütig werden. Sie müssen hinter der roten Linie bleiben. Wenn sie tollkühn werden und ihr zu nahe kommen, werden sie festgenommen. Da fällt mir eine lustige Geschichte ein, die in Tunis passiert ist. Meine Frau ist nämlich Tunesierin. Eines Tages kündigte Präsident Ben Ali freie und demokratische Wahlen an. So kamen alle Ratten aus ihren Löchern. Die Wahlen fanden statt, und ein paar Tage danach liess er alle Islamisten und die, die sie gewählt hatten, festnehmen. Seitdem sind sie nie wieder aus ihren Löchern gekommen. Gut gemacht, nicht? In einer einzigen freien Wahl hat er sie sich vom Halse geschafft.
Hier werden die Muslimbrüder die rote Linie bestimmt nicht überschreiten. Sie spielen ihre Rolle gut. Auch wenn sie gar nicht in allen Wahlkreisen antraten, haben sie der Nationaldemokratischen Partei dasLeben schwergemacht. Die Regierung musste sogar in einigen Wahlkreisen das Ergebnis fälschen, zum Beispiel in Dukki bei Amâl Osmân. Hâsim Salâch Abu Ismaîl lag ihr gegenüber in Führung und hätte gewonnen. Aber dann haben sie es so gedreht, dass Amâl Osmân gewann. Dasselbe passierte mit Sallab in Nasser-City und auch in mehreren anderen Wahlkreisen.
Ursprünglich bin ich aus Fajjûm, wie Jûssuf Wâli 36 . Dort konnte die Nationaldemokratische Partei gar nichts ausrichten, und die Muslimbrüder gewannen.
Ehrlich gesagt, unsere Wahlen wurden ja immer gut präpariert, jeder blieb in der ihm zugewiesenen Rolle. So schaut es aus, als wären wir ein hundertprozentig demokratisches Land. Aber soll ich Ihnen mal was sagen?«
»Ja, bitte.«
»Es gibt gar keine Demokratie, nirgendwo auf der Welt. Hier bei uns ist das sowieso keine Frage, aber auch im Ausland nicht. In
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