Im Tempel des Regengottes
die nackten Affen abschlachten, packen wir seelenruhig den Schatz ein, und dann nichts wie zurück in Youngboys Bar. Oder wolltest du etwa abwarten«, wandte er sich mit breitem Grinsen an Robert, »ob die Prophezeiung der Affengötter eintrifft und du heute in neun Tagen niedergeschossen wirst?«
Noch immer konnte sich Robert nicht überwinden, ihm direkt ins Gesicht zu sehen, weniger aus Trotz oder Widerwillen als aus schierer Mattigkeit. Flüchtig spürte er die Verlockung, die von Stephens Worten ausging. Die Aussicht auf den Schatz, auf unermeßlichen Reichtum, ließ ihn gänzlich kalt, und bei der Erwähnung von Youngboy fuhr er innerlich zusammen. Aber von dem Gedanken, einfach in die alte Welt zurückzukehren, wie man aus einem bösen Traum erwacht, ging für einen Moment ein so übermächtiger Zauber aus, daß Robert erschauerte. Doch der Zauber verflog gleich wieder, zu fremd und abstoßend war ihm sein früheres Leben längst geworden. Und wie könnte er Kantunmak gerade jetzt verlassen, da er die Frau seines Schicksals endlich gefunden hatte?
»Dann sind wir uns also einig«, trompetete Stephen, »wir gehen jetzt alle vier nach draußen und sehen uns in der Affenstadt um. Ihrem Götterboten werden sie ja wohl nicht verbieten wollen, ihre heiligen Ruinen zu besichtigen.« Er fuchtelte mit den Händen, und seine Stimme dröhnte vor Zuversicht. »Wäre doch gelacht, wenn wir nicht herausfinden, wie wir an den Schatz herankommen!«
»Langsam, Stephen.« Roberts Stimme klang so matt, daß es ihn selbst erschreckte. »Was heißt hier einig - außer dir hat ja noch niemand was zu deinem Plan gesagt.« Mühsam hob er den Kopf und sah Stephen ins Gesicht, das schon wieder den gewohnten Ausdruck vorwurfsvollen Ingrimms anzunehmen begann. »Wieso bist du überhaupt auf einmal so sicher, daß sich der Schatz von Tayasal gerade hier befindet, in Kantunmak? Bisher glaubtest du doch, daß er viel weiter westlich im Dschungel vergraben wäre, wie es auf deiner Karte eingezeichnet ist?«
Stephen sah ihn einen Moment lang sinnend an, offenbar focht er einen inneren Kampf aus. »Also meinethalben«, sagte er schließlich, indem er sich mit der flachen Hand auf die Brust schlug. »Diese Karte ist das Kostbarste, was ich auf der Welt besitze. Da kann es mir niemand verübeln, daß ich sie so lange geheimgehalten habe. Aber nun ist der Augenblick gekommen, den Schleier zu lüften.«
Mit feierlicher Gebärde zog er seinen speckigen Brustbeutel unter dem zerfetzten Hemd hervor und nestelte ihn auf. Robert wollte einwenden, daß Stephen seine Schatzkarte ja einzig vor ihm versteckt gehalten hatte, während Paul und Miriam längst jeden Strich und Punkt darauf kennen mochten. Aber sosehr Stephens Mißtrauen ihn in den zurückliegenden Wochen gekränkt hatte und sosehr er die Heuchelei verabscheute, mit der Stephen nun vorgab, ein allgemein bestehendes Geheimnis zu lüften, in diesem Augenblick schien es Robert nicht ratsam, ihn deshalb zur Rede zu stellen. Angespannt sah er zu, wie Stephen die zerfledderte Karte entfaltete, die sich vor Feuchtigkeit gleich wieder zusammenrollte, bis er sie flach auf den Boden legte und ihre Ränder mit zwei leeren Reisschalen fixierte. Mabo war aufgesprungen und hatte eine Fackel aus ihrer Wandhalterung gezogen, die er nun neben Stephen in eine Ritze zwischen zwei schadhaften Bodenkacheln steckte.
»Ich bin zu dem Schluß gekommen«, sagte Stephen, »daß unser Gewährsmann, von dem wir diese Karte in Fort George erstanden haben, in einem Punkt gelogen, in einem zweiten aber wahrheitsgetreu gehandelt hat.« Er sprach mit gesenkter Stimme und sah erst Miriam, dann Paul und schließlich Robert mit verschwörerischer Miene an. Von der geheimnisvollen Schatzkarte war weiterhin wenig zu sehen, da seine bärenhaft großen Hände darüber lagen. »Gelogen«, fuhr er fort, »weil der Ort, den diese Skizze abbildet, achtzig Meilen weiter südlich liegt, als unser Mann behauptet hat. Aber auch wahrheitsgetreu gehandelt, da der Lageplan völlig präzise ist, in jedem einzelnen Detail, wenn man erst einmal herausgefunden hat, auf welchen Ort er sich bezieht.«
Wieder machte Stephen eine Pause und sah vo n einem zum anderen. »Und dieser Ort ist kein anderer als die hiesige Affenstadt, seht nur her.« Er nahm seine Hände von dem Plan, und sie alle vier beugten ihre Köpfe darüber. »Alles ist auf der Skizze eingezeichnet, wie wir es vorgefunden haben, das Tor, durch das wir gestern hereingekommen
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