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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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sind, dann der runde Platz...« Mit senfgelb behaartem Zeigefinger tippte er jeweils auf die gemeinten Punkte. »... die breite Allee und schließlich dieser Berg hier, der verschüttete Riesenpalast, in dessen Katakomben wir uns gerade befinden.« Sein Zeigefinger stieß auf einen langgezogenen Fleck im Zentrum der Skizze nieder.
    Angestrengt sah Robert auf die Karte hinab, ein Gewirr von Strichen, Kreisen und Glyphen, das für ihn keinerlei Ähnlichkeit mit den tatsächlichen Gegebenheiten von Kantunmak aufwies. Allerdings besaß er im Entziffern von Landkarten wenig Übung, und der Schmerz in seinem Kopf ließ kaum einen klaren Gedanken zu. So zerschlagen fühlte er sich, so benommen und trübsinnig, daß ihn in diesem Moment nicht einmal die Frage schrecken konnte, die Stephen unweigerlich gleich stellen würde und vor der er sich seit drei Wochen ängstigte.
    »Also, Freunde, wir sind am Ziel.« Stephen hatte Mühe, seine Stimme noch länger zu dämpfen. »Nicht mehr lange, und wir alle werden in Gold und Silber baden.«
    Stephen und Paul grinsten sich an. Den ein halbes Leben lang gesuchten Schatz so nahe vor Augen, schienen die beiden Kindheitskumpane auch ihr Zerwürfnis vergessen oder wenigstens zurückgestellt zu haben. Beunruhigt sah Robert, daß in Pauls Augen wieder jener fiebrige Glanz schimmerte, den er gestern schon an ihm bemerkt hatte. An Miriam dachten in diesem Moment offenbar weder Stephen noch Paul. Doch die vermeintliche Nonne schien Stephens Zuversicht keineswegs zu teilen, jedenfalls wirkte ihre Miene so düster und angespannt, wie Robert selbst sich fühlte.
    Vor ihrem Türloch hörten sie auf einmal tappende Schritte und die leisen Stimmen ihrer Wächter draußen im Gang. Stephen warf einen mahnenden Blick in die Runde, und für einen Moment blieben sie alle stumm.

11
     
     
    »Eines fehlt allerdings noch«, sagte Paul kurz darauf leise. Er sah Robert durchdringend an. »Laut unserer Karte befindet sich der Schatz eine halbe Meile südlich von hier, unterhalb eines steilen Hügels - einer verschütteten Pyramide, wie wir mittlerweile vermuten. Und zwar, genauer gesagt, fast eine Meile unterhalb dieser Ruine. Um diese Angaben zu entziffern, reichen meine Kenntnisse der alten Schrift gerade noch aus.«
    Paul machte ihm ein Zeichen, und Robert beugte sich fügsam noch tiefer über die zerfledderte Karte. Pauls knochendürrer Finger deutete auf eine lotrechte Reihe von Zeichen unterhalb des Flecks, der die Ka'ana darstellen sollte: eine wuchtige Pyramide, darunter etliche Punkte und waagrechte Striche, vertikal aufgereiht, darunter ein abwärts weisender Pfeil, der genau auf eine annähernd kreisrunde Glyphe zeigte. Neben dieser war ein schmales, langgezogenes Rechteck, gedrängt mit winzigen Zeichen gefüllt.
    Mit einem mehr als unbehaglichen Gefühl vermied es Robert fürs erste, diese unleserlichen Chiffren genauer anzusehen. Statt dessen musterte er die rundliche Glyphe unterhalb des Pfeils, und ohne sich dessen gleich bewußt zu werden, spürte er, daß dieses Zeichen eine ungemein edle Anmutung besaß, wie etwas sehr Kostbares und Auserlesenes. Er runzelte die Stirn und faßte die Karte schärfer in den Blick. Seine Kopfschmerzen waren noch ärger geworden, alles, was er ansah, schien von einer gleißenden Aura umgeben. Wie er nun erst bemerkte, stand neben der Glyphe in ungelenken Druckbuchstaben tatsächlich »Schatz von Tayasal«. Oder hatte er diesen Schriftzug vorher schon unbewußt mitgelesen? Das würde natürlich erklären, dachte Robert, woher ihm die Bedeutung der Glyphe eben zugeflogen war, und doch schien es ihm noch immer, als hätte er das Zeichen spontan entschlüsselt, ohne zuvor die englischen Worte zu lesen.
    Verwirrt musterte er abermals die Glyphe. Für den flüchtigen Betrachter ähnelte sie der Skizze einer handgemachten Brosche oder eines Kettenanhängers, in die Linien und Punkte eingeritzt waren. Doch unabhängig von diesen konkreten Anhaltspunkten, die tatsächlich auf die Bedeutung »Schatz« verweisen mochten, empfand er nun auch wieder auf einer rein intuitiven Ebene, daß die Glyphe eine starke Anmutung von Kostbarkeit ausstrahlte.
    Die Fackel neben ihnen flackerte und fauchte. Noch immer hielten sie alle vier, Stephen und Miriam, Paul und er selbst, ihre Köpfe über die Karte gebeugt, bei der es sich laut Stephen um die Kopie eines Feigenbastblattes handelte, das ein Mayaschreiber noch zu spanischen Kolonialzeiten angefertigt hatte.
    »Die Punkte und

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