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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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unser letztes freies Königreich.«
    Unverwandt sah Robert sie von der Seite her an, ihr zauberhaft schönes Profil, das Willenskraft, aber auch Zerbrechlichkeit verriet. Die Sonne sandte bereits schräge Nachmittagsstrahlen auf den Tempel herab, und vage wurde ihm bewußt, daß Ja'much und die anderen am Ende der Treppe auf ihn warteten. Bald schon würden sie nach ihm suchen und ihn in die Ka'ana zurückbringen. Auf einmal verspürte er den wilden Impuls, mit Ixnaay auf-und davonzugehen, und fast im gleichen Moment die niederdrückende Ahnung, daß es für sie keine gemeinsame Zukunft gab.
    »Das nächste Bild«, sagte sie, »ist schon das Bild der Zerstörung. Meine Mutter und ich hatten die Nacht draußen im Wald verbracht, auf Geheiß der obersten Mondgottpriesterin, da Ixtz'iib' für ihre Heilsalben und -pflaster einige Kräuter benötigte, die bei Vollmond gepflückt werden müssen. Als wir im Morgengrauen ins Dorf zurückkehrten, waren alle Hütten niedergebrannt, und überall auf den Wegen lagen Ermordete, unsere Priesterinnen und Familienangehörigen, Nachbarn und Freunde - alle mit durchgeschnittenen Kehlen. Meine Mutter und ich«, sagte sie und sah Robert so schmerzerfüllt an, als wäre all das erst gestern geschehen, »hatten noch unsere Bündel voll frischgeschnittener Krauter auf dem Rücken und Sträuße von Heilpflanzen in den Händen, die wir Ixtz'iib' und ihren Priesterinnen übergeben wollten. Aber es war niemand mehr am Leben, außer einem ganz kleinen Mädchen, das Ixpaloc, die Mutter, in einem Hohlraum versteckt hatte. Und im Tempel Ixquics fanden wir schließlich auch Ixtz'iib', unsere oberste Priesterin, einen schwarzen Dolch in der Brust.«
    Nach diesen Worten zog Ixnaay im Sitzen ihre Beine an, wie um sich zu schützen, und ließ den Kopf sinken, bis sie mit der Stirn ihre Knie berührte. Robert wartete eine Weile, fast ohne zu atmen, bis er begriff, daß sie von sich aus nicht weitersprechen würde.

7
     
     
    »Wer war es?« Seine Stimme klang rauh, es waren seine ersten Worte seit langer Zeit. Wieder sah er sie von der Seite an, ihre schlanke Gestalt in der weißen Tunika, das schwarze Vogelnest ihrer Haare, bebend auf ihrem Kopf, den sie noch immer auf die Knie gesenkt hielt. »Wer hat damals euer Dorf überfallen?«
    Noch während er fragte, sagte er sich, daß er die Antwort so gut wie Ixnaay kannte, die nun unendlich langsam den Kopf hob, ohne ihn anzusehen.
    »Der Krieg ist der Wahnsinn der Männer.« Sie schaute ins Leere, auf den grünen Ozean des Dschungels, der sich von hier oben aus bis zu allen Horizonten zu wellen schien. »Es waren die Priester Ajkinsajs, der damals die Macht über Kantunmak an sich riß. Er führte einen blutigen Kampf gegen alle Mayadörfer in den Wäldern, die sich ihm und seiner Gottheit nicht unt erwarfen, und rechtfertigte die hundertfachen Morde mit der Prophezeiung, nach der einzig Cha'ac und seine Priester bis zur Vertreibung der weißen Invasoren über die Maya herrschen würden.«
    So leise Ixnaay auch gesprochen, ja geflüstert hatte, der Satz hallte in Robert nach: Der Krieg ist der Wahnsinn der Männer. Zugleich wurde ein anderer Satz in ihm lebendig: »Du bist, was du siehst«, rief der Chilam Balam mit pfeifender Stimme in seinem Kopf, und unten auf dem Platz begannen wieder die rituellen Rufe der Tausende Mayakrieger, während Ixnaay sagte:
    »Nun muß ich gehen, Robert, aber wir sehen uns wieder, morgen schon. Wenn Ajkinsajs Männer mich finden, wird er mich töten lassen, unter einzigartigen Qualen, auf die er sich sehr viel besser als auf seine angeb liche Heilkunst versteht.« Sie lächelte ihn flüchtig an und erhob sich. »Vorhin sagte ich zu dir, ich sei nicht Ixkukul, die wiedergekehrte Priesterin Ixquics, sondern einfach Ixnaay, eine junge Frau aus Fort George. Das war allerdings schon vorhin mehr Wunsch als Wahrheit, und mittlerweile bin ich nicht einmal mehr sicher, ob ich es mir wünschen soll.«
    Auch Robert war aufgestanden, erwartungsvoll pochte sein Herz. Für einen Moment standen sie sich wortlos gegenüber, so nahe, daß ihr Atem sich vermischte. »Seit wann weißt du davon?« Er machte eine vage Geste über die Stadt hinweg.
    »Von den beiden Stelen dort drüben, die dir und mir so rätselhaft ähnlich sehen?«
    Sie sah ihn an, immer noch wortlos, und nun glaubte er Überraschung in ihrem Gesicht zu lesen. »Vo n den Stelen weiß ich seit langem«, sagte sie. »Wie sehr jene Ixkukul mir gleichsehen soll, erfuhr ich aber

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