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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Puppenspielerwillkür zu entziehe n. Obszön, dachte er, wie seine Hand den Schenkelstumpf gepreßt hat, wie sie unter den Schurz gefahren ist, um das graue Gallert, die Mumienhaut, das brandige Leichenfleisch bis hinauf zu den Lenden des Jungen zu ziehen. Er krümmte sich innerlich, da ihm auf einmal schien, als wäre er selbst dieser Junge gewesen, in dunkelster Vergangenheit, als hätte die kräftige Hand nach ihm gepackt, ihn verstümmelt unter dem Vorwand der Heilung, seinen Leib verhext in lebendiges Leichenfleisch. Vage empfand er, daß sich ihm Traum und Wirklichkeit immer inniger ineinander verwirbelten, untrennbar wie im Wahnsinn oder unter dem Bann eines Zauberfluchs. Die Zigarre, ich bin berauscht, das ist alles, dachte er, aber es waren Wörter ohne Realität für ihn, Satzfetzen, leer und närrisch wie Kinderverse.
    »Überwindung des Todes?« wiederholte Ajkinsaj, und Robert riß seinen Blick gewaltsam von ihm los und sah zu den Mayajungen, die sich hinter seinem Rücken drängten, mit grauen Schrumpfschenkeln, abscheulichen Mumienarmen. »Du wagst es, unseren Schmerz zu verhöhnen, zwanzigtausendfacher Mörder der Maya?« Ajkinsajs Stimme grollte, so gewaltig und hallend, als wäre er selbst die Gottheit des Donners, ein himmelhoher Wolkenleib. »Habt du und Ixkukul die Maya von Tayasal nicht durch betrügerische Listen dazu gebracht, ihre Nacken unter der Axt der Opferpriester zu beugen? Verspracht ihr nicht, sie alle sollten binnen siebenmal sieben Tagen in einer Gestalt ihrer Wahl wiederkehren, gekräftigt und geheilt, verjüngt und strahlend schön?« Ajkinsaj zwang ihn, durch die schiere Macht seines Willens, ihm abermals ins Gesicht zu sehen. »Willst du leugnen, daß eure Formel der Wiederkehr blutiger Betrug war?« Robert sah ihn an, und in den Pupillen Ajkinsajs erblickte er auf einmal, wie in zwei winzigen magischen Spiegeln, das wunderschöne Antlitz von Ixnaay.
    »Mörder!« rief Ajkinsaj aus. »Heil und Heilung hast du versprochen, aber Tod und Untergang gebracht! Von den zwanzigtausend Maya, die an jenem Tag durch eure Lüge starben, ist kein einziger je zurückgekehrt!«
    Robert schlug die Hände vors Gesicht und knirschte mit den Zähnen. Grauen befiel ihn, ärger als tiefste Kinderangst. So wäre ich selbst der, vor dem ich immer fliehen wollte? Wieder huschte ihm ein Bild aus ältester Zeit durch den Kopf: ein Gewölbe, die kräftige Hand, Düsternis und wie er im Moment der Berührung erstarrte, für immer versehrt, zur Puppe verholzt. Und Ixkukul, dachte er, die India meiner Träume, Ixnaay, die Frau, von der ich mir Heilung erhoffte: Auch deine Lippen, deine Hände bringen nur Lüge und Tod?
    Er spürte ein Brennen in der Kehle, Tränen vernebelten seinen Blick. Gerahmt von einer flackernden, regenbogenbunten Aura sah er, wie Ajkinsaj den Jungen mit dem grauen Bein zur Seite stieß und sich vorbeugte. Seine kräftige Rechte packte Ajkech unter der linken Achsel und zerrte ihn hoch.
    »Mir aber hat Cha'ac, die mächtigste Gottheit«, rief Ajkinsaj,
    »Macht auch über den Tod verliehen!« Mit einer Hand,
    scheinbar mühelos, reckte er den kleinen Krieger so hoch, daß Ajkechs rechte Schulter vor Roberts Augen schwebte. »Sieh nur, Vernichter der Maya, mit der Hilfe meines Gottes heile ich nicht nur die Verstümmelten, sondern erwecke auch die Toten wieder zum Leben!« Seine linke Hand fuhr unter seine Tunika und zog die rote Knochenflöte hervor. Mit dem Mundstück strich er über Ajkechs linke Brustseite und krakelte ein blutrotes Zeichen darauf, von der ungefähren Form einer Kröte. »Der Mensch ist eine Wolke, und das Herz ist ein Frosch: Wußtest du das nicht, fahler Götterbote?«
    Er schob die Flöte wieder unter sein Gewand, und als seine Hand abermals zum Vorschein kam, umfaßte sie einen schwarzen Dolch, mit gezähnter Klinge, die in der Abendsonne funkelte. »Schau nur genau zu, Vernichter der Maya! Wie ich den Frosch aus dieser Brust schneide und auf meiner offenen Hand zucken lasse, bis alles Leben aus ihm gewichen ist.« Er schwenkte Ajkech wie eine Fahne aus Fleisch. »Wie ich endlich den starren Frosch in seine Höhle zurückschieben und wieder zum Leben erwecken werde - mit der Hilfe des großen Cha'ac!«
    Kaum hatte Ajkinsaj »Cha'ac« ausgerufen, da ertönte ein Knall, furchtbarer als der lauteste Donnerschlag. Hinter seinem Rücken explodierte der Riesenkopf seiner Gottheit, in einer Kaskade aus Trümmern und Staub. Schreie erschallten, während eine gewaltige

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