Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
angelte, dürftige Nebelbeine, unförmig verschrumpfte Arme, und die Mumienglieder unter rituellem Gemurmel gegen die Schenkel-und Schulterstümpfe weiterer Mayajungen preßte. Auch Miriam wirkte gänzlich entgeistert, dachte er, nicht anders als Mabo und Ajkech, die wie versteinert zu seinen Füßen hockten, neben Paul, der immer noch ohne Besinnung schien. Robert versuchte dem Jungen ermutigend zuzulächeln, doch er selbst spürte, daß er nur eine Grimasse zustandebrachte, mit gefletschten Zähnen, so daß der kleine Maya die Augen noch weiter aufriß und im Herantaumeln regelrecht zusammenfuhr.
    »Wandelt auf und ab, denn ihr wart zerstückt und seid wieder heil.« Abermals erschallte Ajkinsajs Stimme, laut und grollend wie Donnerrollen. »Dankt Cha'ac, der mächtiger ist als Krankheit und Tod.« Er legte die Arme um die Schultern der fünf Mayajungen, die um ihn herumstanden, mit angehexten grauen Armen und Beinen, »Und unendlich mächtiger als alle lügnerischen Listen, die der Ajb'isäj -ju'um d'ojis jemals zu ersinnen vermag!«
    Sein Blick bohrte sich in Roberts Augen, über eine Distanz von mehr als dreißig Schritten, während er durch die Gasse seiner Priester auf ihn zuging. Nach wenigen Schritten hatte er den Jungen eingeholt, der noch immer mit den hölzernen Bewegungen einer Gliederpuppe vorantaumelte. Es war der kleine Maya, der ihm vorhin die Zigarre gereicht und mit seinem Kienspan angezündet hatte, zumindest schien es Robert so, während der Junge, das graue Mumienbein voranwerfend, durch die Gasse der Priester wankte. Ajkinsaj packte ihn bei den Schultern und schob ihn vor sich her, und die anderen zauberisch geheilten Jungen taumelten hinterdrein, während sich die sechs Opferpriester zu Roberts Entsetzen neuerlich unter den aufgeknüpften Holzfällern aufstellten, ihre Äxte probeweise in den Händen wiegend.
    Ajkinsaj blieb einen Schritt vor Robert stehen, seine Hände auf den schmalen Schultern des Jungen, dessen Gesicht schimmerte vor Schweiß. »Oder wagst du zu behaupten, Vernichter der Maya, daß du ein Wunder wie dieses zu wirken vermagst?« Er beugte sich vor, über die Schulter des Jungen, umfaßte das graurosa Bein über dem Knie und zog es empor, dabei mit prahlerischer Miene zu Robert aufschauend.
    Roberts Blick haftete auf dem abscheulichen Bein, das wie ein Leichenglied aussah, mit der verschrumpften Haut, die sich über formlosem, scheinbar fauligem Fleisch wellte. Der Junge stand in völlig verkrampfter Haltung vor ihm, unter Ajkinsaj massigen Rumpf geduckt, das graurosa Knie bis zur Brust gezogen.
    »Dasselbe hast du mich schon einmal gefragt, großer Herrscher.« Seine Gedanken rasten. Gleich würde Ajkinsaj befehlen, den unglücklichen Opfern weitere Gliedmaßen abzuschlagen, wie um Himmels willen konnte er ihn nur daran hindern? »Damals antwortete ich dir, daß die Götter mich nicht zu euch gesandt hätten, um euch Heilung zu bringen, sondern um euch in den Kampf zu führen. Diesmal füge ich hinzu: Schon als sie mich nach Tayasal sandten, habe ich euch die Formel der Wiederkehr offenbart, das Geheimnis der Überwindung des Todes.« Er sah Ajkinsaj so finster wie möglich an, dabei fühlte er sich mehr als unbehaglich, von der wuchtigen Präsenz des anderen schier zerdrückt. »Ist dieses Geheimnis nicht tausendmal kostbarer, Ajkinsaj, als der Körperzauber deines Gottes Cha'ac?«
    Noch während Robert sprach, hatte Ajkinsaj das Bein des Jungen losgelassen und sich wieder aufgerichtet. Robert sagte »Körperzauber«, und das Bein sackte schlaff hinab, am Schenkelstumpf schlenkernd wie ein mit Kautschuk gefüllter Strumpf. Seine Hände auf die Schultern des Jungen gestützt, starrte Ajkinsaj ihn an, aus so bedrängender Nähe, daß Robert seinen heißen Atem auf der Wange spürte. Die schwarzen Augen durchbohrten ihn, er mußte sich zwingen, den Blick nicht zu senken, nicht zu schreien, nicht davonzulaufen wie ein verstörtes Kind. Seit jeher, dachte er, hatte er diesen Drang verspürt, Hals über Kopf zu fliehen, sowie Grimaldis hypnotische Augen sich auf ihn richteten. Aber der Blick des Magnetiseurs hatte ihn immer gleich schon gefügig gemacht, benommen und willenlos, so daß er nicht einmal mehr wünschen konnte, sich dem Einfluß Grimaldis zu entziehen. Er ist niemals auf meiner Seite gewesen, durchfuhr es Robert, er hat sich nur in mein Vertrauen geschlichen, im Auftrag meines Vaters, auf Weisung von Mary, weil sie witterten, daß ich im Begriff war, mich ihrer

Weitere Kostenlose Bücher