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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Becher und in der Rechten schwarze, gekrümmte Stachel trugen, die fingerlang und vorn zugespitzt waren, wie der Reißzahn eines riesigen Raubtiers.
    Er spürte die Blicke der Jaguarpriester auf sich, zuckend wie die Lichtblitze, die von den Fackeln auszugehen schienen. Die beiden, die ihm am nächsten waren, mit den Rücken zur schwarzen Mitte, sprangen plötzlich auf ihn zu. Ihre Bewegungen schienen aufgelöst im Stakkato der Trommel, im Pulsieren des Lichtes, zu einer raschen Folge einzelner Bilder, wie in einer Camera obscura. Die Fackel entglitt seiner Hand, fast ohne daß er es bemerkte. Gebannt starrte er auf die wie Jaguare gefleckten Leiber, die durch den bräunlichen Qualm auf ihn zuflogen, die gescheckten Brüste, die sich im Flug noch höher wölbten, das im Sprung hochschnellende Jaguarglied. Zugleich glaubte er hinter ihnen, in der dunklen Tempelmitte, nun eine schattenhafte Gestalt zu sehen, die zusammengesunken auf dem Steinquader saß.
    Schon standen die beiden vor ihm, so nah, daß er ihren Fellgeruch einzuatmen, den tierhaften Brodem zu riechen meinte. Wie schön sie sind, dachte er auf einmal, mit dem Blick über ihre Leiber jagend, im zuckenden Licht, im Wummern der
    Trommel, die so rasch, so betäubend pulsierten wie sein eigenes rasendes Herz. Ohne sich zu besinnen, streckte er seine Hände vor. Er wollte sie berühren, ob sie sich nach Menschenhaut anfühlten, dachte er, nach struppigem Fell, oder ob es vielleicht doch nur Schatten waren, keine Gestalten aus Fleisch und Blut. Da spürte er, wie sich etwas Rundes, Festes in seine Linke schmiegte, und zugleich glitt etwas Hartes, Längliches in seine rechte Hand. Ehe er sich versah, hatten sich die beiden Gestalten umgewendet und waren mit einem Sprung in den Kreis der Jaguarpriester zurückgekehrt. Robert beugte sich zur Fackel hinab und sah voller Erstaunen, daß sie auch ihm einen beinernen Becher und einen schwarzen Stachel überreicht hatten, als erwarteten sie, daß er einer der ihren werde oder zumindest teilnehme an ihrem wilden Ritual.
    Als er sich wieder aufgerichtet hatte, hoben die Jaguarpriester eben die knöchernen Becher zu ihren Mündern, alle gleichzeitig, wobei sie ihn unverwandt ansahen. Zögernd tat er es ihnen nach, im unverminderten Wummern der Trommel, und ein greulicher Geruch stieg in seine Nase, ein Gestank nach Fäulnis und Moder. Trotz seiner Benommenheit spürte er, daß er diesen Becher lieber nicht leeren und statt dessen die Flucht ergreifen sollte, solange er noch halbwegs Herr seiner Sinne war. Doch unter den hypnotischen Blicken von neun Augenpaaren (und einem zehnten in der schwarzen Mitte) blieb ihm keine Wahl, kein Bedenken: Wie an Fäden gezogen hob sich seine Hand noch höher und führte den Becher an seine Lippen, und im selben Moment wie die Jaguarpriester öffnete auch er den Mund und goß das widerlich riechende Gebräu in sich hinein.

7
     
     
    Rascher und rascher liefen die Jaguarpriester um den schwarzen Kubus, mit geschmeidiger Anmut, doch es war ein jagender, tierhaft bedrohlicher Tanz. Der Tanz der Jaguare, dachte Robert, indem er seinen Rücken noch fester an die Felswand preßte, denn er spürte, daß sein Leib es den Tänzern gleichtun, daß er wie diese Tiermenschen um die schwarze Mitte tanzen wollte, in kraftvoller Selbstvergessenheit. Es mußten neun Priester und neun Priesterinnen sein, mehrfach hatte er sie zu zählen versucht, ganz sicher war er sich dennoch nicht: Zu benebelt war sein Verstand, zu ungewiß das Licht, zu erregend der Anblick, als daß er die zuckenden Gestalten kaltblütig hätte mustern können. Aber so benommen er auch war, so berauscht durch den Trunk und den Qualm, der von den Fackeln aufstieg, verharrte er doch wie versteinert am Rand, als wäre er selbst eine der Stelen an der Tempelwand, die den Jaguargott verherrlichten. Den Herrscher von Bolontiku, dachte er wieder, woher war ihm dieses Wissen vorhin zugeströmt? Und bewies es nicht, daß er tatsächlich in einem früheren Leben hier gewesen sein mußte? Oder wie sonst war es möglich, daß er sich an den Titel der gescheckten Gottheit erinnerte?
    Er versuchte darüber nachzusinnen, doch seine Gedanken verwirrten sich gleich wieder. Das Blut rauschte ihm in den Ohren, und seine Glieder begannen im Takt der Trommel zu zucken. Ihm war, als müsse auch der Name der jaguarköpfigen Gottheit ihm gleich noch einfallen, als lägen ihm die fremdländischen Laute schon auf der Zunge. Aber dann vergaß er auch diesen

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