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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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Rauchte ganz langsam seine Zigarette. Und
fragte sich ein weiteres Mal, warum manche Menschen immer den Kürzeren ziehen mussten.
    Als er seine Zigarette aufgeraucht hatte, rieb er sich die Augen und kroch zu Phil ins Zelt.

28
    Der Mond, groß und unglaublich hell. Ist es möglich, dass er der Erde so nahe kommt? Dass er den Nachthimmel von einem Horizont zum anderen bedeckt?
    Silbriges Licht liegt wie Raureif über den Baumwipfeln, die sich endlos weit erstrecken. Ganz unten, wo sich das Mondlicht auf den kalten Boden ergießt, ist die Luft bläulich-weiß und getrübt. Die Bäume stehen abweisend da wie Soldaten mit Lanzen, Standarten und breiten gepanzerten Rücken, eine urwüchsige Armee, die sich vor der schwarzen Masse abzeichnet und wirkt, als wäre sie einstmals vorangestürmt und dann erstarrt, als wäre ein grausiger Vormarsch oder ein Rückzug jäh zu einem Ende gekommen. Aber sie weichen vor diesem Platz zurück, meiden ihn. Die breiten Stämme der uralten Bäume und die Wände aus dicht geflochtenem Unterholz scheinen sich an den Rand der Lichtung zurückzuziehen, und von dort aus umkreisen sie die beiden verloren wirkenden, ausgeblichenen und schmutzigen Zelte. Nur hohe Gräser und Kräuter wagen sich auf diesen Platz.
    Und was hängt da von den Bäumen herab, breitet sich an den schwarzen Rändern des wuchernden Holzes aus wie Wäschestücke, die vom Wind hierhergeweht und von den ziellos in die Luft ragenden Ästen und Zweigen aufgefangen wurden? Irgendetwas flattert da. Vielleicht verloren gegangene Hemden,
die von den Ästen durchlöchert und zerrissen wurden. Vermisste Kleidungsstücke mit zerfetzten Ärmeln. Es sind drei Stück, von denen jeweils vier zerfranste Beine herabbaumeln, die aussehen wie Leggins oder lange Unterhosen, die man dort hingehängt hat. Und alle total verdreckt.
    Häute, die man von toten Tieren abgezogen hat. Abgeschält und nach oben geschleudert, damit sie dort hängen wie Fahnen oder Banner, ausgerechnet an diesem Ort, an dem ihr Zuflucht gesucht habt.
    Und jetzt bewegt sich etwas durch den kaum wahrnehmbaren dunklen Raum hinter der vordersten Baumreihe. Holz knackt und splittert, als es da entlangläuft, irgendwo dort drüben, aber doch unsichtbar.
    Es trabt hin und her am Rand der von Büschen gesäumten Lichtung und kündigt sein Kommen mit einem jaulenden Ton an, der gelegentlich in einer Art Bellen gipfelt und aufsteigt in die eisige Klarheit des indigo-schwarzen Himmels. Ein Schrei, der schon ertönte, lange bevor du hier gestanden hast, ganz allein und zitternd.
    Es versucht, dir etwas mitzuteilen.
    Es will dir sagen, dass du hier auf es warten kannst und zuschauen sollst, wie es sich blitzschnell aus den Bäumen löst. Oder du kannst versuchen zu entkommen, ganz langsam auf kraftlosen Beinen. Flieh nach draußen, durch das stachelige und dornige Gestrüpp des wuchernden Waldes. Hinein in die bereitstehende Armee, die sich dort postiert hat und dich durch ihre Reihen nicht entkommen lassen wird.
    Es muss ziemlich groß sein, denn sogar Äste, die weit über dem Boden hängen, bewegen sich jetzt direkt vor dir. Einige werden beiseitegedrückt, andere schnellen zurück und bleiben zitternd oben hängen. Dort aus den silbrig schimmernden Blättern kommt das tiefe kehlige Grunzen. Es klingt beinahe wie eine Stimme, aber nicht wie etwas, das man verstehen könnte.
Hündisches Jaulen, das Keuchen eines Bullen, die Schreie eines Schakals. Sein Atem verbreitet nebligen Dunst zwischen den Zweigen, und noch immer kannst du nicht mehr erkennen als eine Ahnung von etwas Langem und Schwarzem, das sich flink zwischen den Büschen und Stämmen bewegt.
    Es duckt sich näher an den Erdboden, bereit sich zu zeigen.
    Dann ist die Luft erfüllt mit lautem Schreien, aber nicht die kalte Luft hier bei ihm, das merkt Luke jetzt, sondern die Luft dort draußen in der Welt jenseits seines Alptraums. Dort, wo gerade etwas noch viel Schlimmeres geschieht.

29
    Zuerst hörte Luke Schreie aus der Ferne, noch in seinem Traum. Und dann breitete sich der Schrecken eines anderen überall um ihn herum aus. Er lag da mit aufgerissenen Augen und starrte zur dunklen Decke des Zeltes, das er sich mit Phil teilte.
    Noch völlig benommen vom tiefen Schlaf, aus dem er jäh gerissen worden war, dachte er zuerst, es wäre das Beste, einfach ruhig liegen zu bleiben und abzuwarten, bis die Schreie geendet hatten. Doch das hysterische, vollkommen irre Gebrüll hörte nicht auf. Der grauenhafte Klang eines

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