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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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Lockruf eines Säugetiers konnte man bisweilen Wortfetzen der menschlichen Sprache entdecken. Es gab keine wilden Tiere in dieser Gegend, vor denen sie sich fürchten mussten, beruhigte er sich. Natürlich gab es viel Wild, aber wenn sie nicht gerade auf eine Kreuzotter traten oder einem Bärenmarder begegneten, der Junge hatte, konnte ihnen nichts passieren. Darüber hatten sie sich informiert. Es lag einfach daran, dass ihre Großstadtohren nicht an die nächtlichen Geräusche der Wildnis gewöhnt waren. So oder so ähnlich musste es wohl sein, versicherte er sich selbst.
    Und doch hatte irgendetwas, das ziemlich groß, kräftig und wild sein musste, einen schweren Tierkadaver in einen Baum geschleudert. Einen Elch oder so was. Ihm die Haut abgezogen und es dort oben hingehängt, als wollte es damit sein Revier markieren oder auf diese Weise einen Vorrat anlegen.
    Hutch unterbrach Lukes beunruhigende Gedankengänge, indem
er sagte: »Wir sollten die Tütensuppen und die Dosen mit den Hotdogs gut vergraben. Sonst kommt so ein Vieh mit großer Schnauze angedackelt und schnüffelt hier rum.«
    Luke lachte nervös auf. »Was glaubst du, ist das?«
    Und da war es wieder, das eigenartige Geräusch. Viel näher jetzt, aber es schien nun hinter Lukes Rücken zu sein und nicht bei Hutch, als hätte es geräuschlos ihr Lager umkreist.
    Sie richteten die Taschenlampen auf die umstehenden Bäume. Die Lichtkegel wurden von dem dicken feuchten Blattwerk und Geäst aufgesogen.
    »Ein Dachs oder so was«, vermutete Hutch.
    »Oder ein Bärenmarder?«
    »Ich hab keine Ahnung, wie die sich anhören.«
    »Ein Bär?«
    »Kann auch sein. Aber die sind hier in der Gegend viel zu klein, um uns gefährlich zu werden. Man muss einfach nur in die Hände klatschen, wenn sie zu nahe kommen.«
    So sehr Luke sich auch bemühte, er konnte sich keinen kleinen Bär vorstellen.
    Nach zehn Minuten Stille stand Hutch stöhnend auf. Er schien überzeugt zu sein, dass keine Gefahr bestand. Luke war sich da nicht so sicher, wollte sich aber nichts anmerken lassen. Er wunderte sich, dass Hutch ganz ruhig sagte: »Ich leg mich jetzt hin, Alter. Ich brauch dringend etwas Schlaf. Weck mich morgen früh, bevor du losgehst. Wir müssen uns noch mal die Karte vornehmen und besprechen wie wir vorgehen.«
    »Klar, geht in Ordnung. Am besten gehe ich gleich los, wenn es hell wird«, sagte Luke halb über die Schulter, während er den Lichtkegel seiner Taschenlampe über die umstehenden Bäume gleiten ließ. Wenn er sich langmachte und die Hand ausstreckte, konnte er die Bäume anfassen, so dicht standen sie um ihr ziemlich wackeliges Lager herum.
    Hutch nickte. »Ich glaube nicht, dass wir morgen sehr weit
kommen. Ich frage mich, ob wir nicht besser einen Tag hierbleiben und warten, bis Doms Knie ein bisschen abgeschwollen ist. Wir haben genug Wasser. Und du weißt dann wenigstens, wo wir sind. Jedenfalls so ungefähr.«
    Nachdem sie diese lebenswichtige Frage in fast entspanntem Ton erörtert hatten, zog Hutch den Reißverschluss des Zeltes auf, das er sich mit Dom teilte, und fummelte an den Schnüren herum, als wäre die Situation wieder völlig banal, als ginge es nur um alltägliche Campingangelegenheiten und der Schrecken, den sie gerade gespürt hatten, spielte keine Rolle. Dieser Schrecken war aber sehr wohl vorhanden, jedenfalls in Lukes Gedanken. Hutch war einfach zu erschöpft hier draußen in dieser fremden, tiefschwarzen Wildnis, um sich unter den eigenartigen Geräuschen zu dieser Zeit etwas Konkretes vorstellen zu können.
    »Nacht«, sagte Luke.
    »Nacht«, erwiderte Hutch, während er den Reißverschluss wieder hochzog. Luke beobachtete, wie das Zelt leicht wackelte, als Hutch sich in seinen Schlafsack zwängte. Er sah, wie der gelbe Lichtschein sich im Inneren über die Plane bewegte wie das Licht hinter dem Bullauge eines U-Bootes, das sich irgendwo tief unten auf dem Meeresgrund befand.
    Luke setzte sich unter das Vordach und horchte, ob er jenseits von Phils pfeifendem Atem und Doms Schnarchen etwas hören konnte. Wenige Minuten nachdem er seine Lampe ausgeschaltet hatte, begann auch Hutch, gleichmäßig zu atmen, und fiel in einen tiefen Schlaf.
    Luke zog sein Zigarettenpäckchen aus der Tasche. Sein Gesicht und seine Haut brannten vor Erschöpfung, sein Kopf fühlte sich unnatürlich schwer an, aber seine Gedanken arbeiteten immer noch, konnten einfach nicht zur Ruhe kommen. Hier draußen durfte er wenigstens rauchen.
    Er gab sich Feuer.

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