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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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irgendwie unheimlich wirkte. Durch die Risse in der zerfetzten Außenhaut
glänzte etwas Feuchtes, eine Reihe von länglichen Streifen und Klumpen, sogar Pfützen waren zu sehen. Die Taschenlampe in Lukes Hand zitterte heftig, als der Lichtschein über die Schmutzstellen auf dem Nylon glitt. Die Stellen leuchteten hellrot, es war gerade oxydiertes frisches Blut.
    Luke konnte das alles nicht klar und deutlich erfassen. Ein wildes Durcheinander von unfertigen Gedanken und Assoziationen, einige davon vollkommen idiotisch, rasten durch sein Gehirn, das verzweifelt versuchte, sich einen Reim auf den grausigen Anblick zu machen und sich zu konzentrieren. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Er stand da, aufrecht, nur in seiner Unterwäsche und zitterte in der Kälte, erbebte vor aufgepeitschten Emotionen, nachdem das Adrenalin sich in seinem ganzen Körper verteilt hatte.
    Irgendwo inmitten dieses durchlöcherten Stoffhaufens, das einmal ein Zwei-Mann-Zelt gewesen war, lag der nach Luft ringende Dom. Luke widerstrebte es, unter den nassen grüngelben Nylonstoff zu schauen. Die Seile lagen schlaff auf dem Boden, und es sah aus, als wären einem Schiff mitten in der Nacht auf dem schwarzen gottverlassenen Meer die Segel herabgefallen und hätten die Mannschaft unter sich begraben.
    Die Verstrebungen aus Fiberglas, die das runde Dach gehalten hatten, waren auseinandergezerrt worden und lagen nun unordentlich inmitten der chaotischen Stoffmasse. Jetzt erinnerte ihn das Zelt an einen riesigen Drachen, der auf die Erde gefallen und zerbrochen war. Innerhalb des ganzen Tohuwabohus war Blut zu sehen, Schmerz und Elend lauerten darunter. Am liebsten wäre Luke davongerannt, um nicht mitansehen zu müssen, was geschehen war.
    Er drehte sich um und ließ den Lichtstrahl seiner Lampe über die unebene, unübersichtliche Lichtung gleiten. Moosbedeckte Rinde, schwärzliche Äste, dunkel triefendes Blattwerk, schattige Höhlen. In seinem Inneren zog sich etwas zusammen, als er an
das denken musste, was Phil auf dem alten Friedhof entdeckt hatte. Er erwartete jeden Augenblick, dass die Baumstämme zum Leben erwachten, und starrte gebannt auf ihre schaurigen Umrisse, aber nichts bewegte sich.
    Er musste heftig schlucken und blinzelte mit wunden ausgetrockneten Augen. »Dom! Dom!«, rief er schließlich in die lumpenartigen Überreste neben seinem eigenen halb zusammengefallenen Zelt. Wieder ließ er den Lichtkegel der Taschenlampe darübergleiten. »Bist du verletzt?!« Seine Stimme schien zu zerbröseln, bevor er überhaupt zwei Worte formulieren konnte. Sein Brustkorb bebte, als hätte er gerade einen Heulkrampf gehabt oder wäre in eiskaltes Wasser gestiegen.
    Ich muss mich jetzt zusammenreißen.
    »Wo ist Hutch?«, fragte Phil, der neben ihm mit nackten Beinen am Boden kauerte. Er war ungeschickt und zögernd auf allen vieren aus dem Eingang gekrochen. Seine Lampe stieß gegen die von Luke, als er den Lichtstrahl zur Seite richtete, um den zusammengefallenen Haufen nebenan zu beleuchten.
    Luke trat unter dem Zelteingang hervor. Die plötzliche Kälte des Erdbodens unter seinen nackten Füßen ließ ihn nach Luft schnappen. Orientierungslos trat er auf einen herumliegenden Zeltnagel, stolperte über eine der Leinen und fiel seitlich zwischen die Bäume. Das nasse Grünzeug schlug ihm ins Gesicht, ein morscher Ast bog sich unter seinem Körpergewicht und brach dann durch. Er sprang sofort wieder auf, versuchte, das Gleichgewicht zu halten und seine Umgebung genauer in Augenschein zu nehmen. Endlich war er vollständig erwacht, und die nächtliche Kälte traf ihn hart.
    »Domja!«, schrie Luke laut auf und benutzte unwillkürlich den Spitznamen, den er seinem Freund in besseren Zeiten gegeben hatte. Der Ruf provozierte eine Reaktion. Eine Hand stieß gegen den Zeltstoff, Finger zeichneten sich unter der gelbgrünen Fläche ab, versuchten, sich Luft zu verschaffen.

    »Ruhig, ruhig«, sagte Luke und trat zurück, als Dom sich auf allen vieren von der Plane befreite. Er trug seinen violetten Fleece-Pulli, Boxershorts und dicke graue Socken. Hinter sich zog er seinen Schlafsack her, in dem sich sein Fuß verheddert hatte. Er schob ihn fort und stand mühsam auf. Das Bein mit dem notdürftig verbundenen Knie ließ sich offenbar kaum noch geradebiegen. Sein schmutziges, verschmiertes Gesicht sah aus wie das eines Kumpels, der gerade aus dem Schacht kam. Er zuckte zusammen, als die Taschenlampen ihn anstrahlten. Seine Augen waren gerötet und

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