Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
Jacke und nickte vor sich hin: »Ich denke nur über alles nach.«
»Ich weiß«, sagte Dom. »Ich weiß.«
Luke bemühte sich, seine Hände ruhig zu halten, während er das Papier um den Tabak rollte. Es gelang ihm nicht. Er versuchte es wieder. Und scheiterte. Versuchte es erneut. Seine Hände waren noch nie so schmutzig gewesen. Schwarz bis unter die Nägel. Ob er sie jemals wieder sauber kriegen würde?
»Kann ich auch eine haben?«, fragte Dom mit apathischer Stimme.
»Bist du sicher?«, fragte Luke, ohne darüber nachzudenken.
»In unserer Lage gibt es bestimmt größere Risiken als das Rauchen. Aber kannst du sie mir drehen? Ich weiß gar nicht mehr, wie das geht.«
»Klar, kein Problem.«
Er reichte Dom eine ziemlich krumme Zigarette und das Feuerzeug über die Schulter hinweg. Das war die letzte Annehmlichkeit, die ihnen aus der anderen Welt übrig geblieben war. Als ihre Finger sich berührten, spürte Luke wie er bei dem Gedanken, dass er Dom ins Gesicht geschlagen hatte, vor Scham erbebte. Da war es noch ein normales, lebendig dreinblickendes, ausdrucksvolles Gesicht gewesen. Er erinnerte sich noch sehr genau an den Ausdruck von Überraschung, Schock, Angst und Verletzung, den er anschließend bemerkt hatte. Wie ein Kind hatte er ausgesehen. Wenn wir uns ängstigen und wenn wir verletzt werden, sind wir denn dann etwas anderes?
»Mensch, es tut mir so leid.« Er brachte die Worte kaum heraus.
»Hm?«
»Wegen dem, was ich getan habe. Ich kann es kaum glauben. Ich war einfach … wütend. Die ganze Zeit. Das ist nicht gut. Ich komme einfach mit vielen Dingen nicht mehr klar.«
»Ich bin auch manchmal ein ziemliches Arschloch.«
Wieder saßen sie schweigend da, bis Dom das Wort ergriff. »Glaubst du, dass überhaupt jemand glücklich ist?«
»Schwer zu sagen.«
»Es ist so, wie du gesagt hast, es ist alles nur PR heutzutage. Markenmanagement. Soziale Netzwerke. Unsere persönlichen Erfahrungen werden kommerzialisiert. Wir sind unsere eigene Werbeabteilung. Aber was hat das alles schon für einen Wert, wenn man mit so was hier konfrontiert wird.«
»Hier sind die Voraussetzungen für alle gleich.«
»Der ganze Schwachsinn ist wie weggefegt. Alles was zählt, ist das Überleben. Und manchen gelingt es besser als anderen.«
»So ist es wohl.«
»Du kannst das, du wirst es schaffen.«
Luke wusste nicht, was er darauf antworten sollte.
»Hier draußen. Du kommst hier gut zurecht. Viel besser als ich und Phil, und wahrscheinlich auch besser als Hutch, auch wenn er immer großspurig mit den Zelten und dem Kocher rumgemacht hat. Du hast noch diesen Instinkt.«
War das ein Kompliment?
»Als Hutch tot war, waren Phil und ich total fertig. Ohne dich wären wir nicht mehr weit gekommen. Was auch immer uns das gebracht hat. Aber immerhin sind wir jetzt ein Stück näher am Ende dieses gottverdammten Walds mit seinen beschissenen Bäumen.«
Luke unterdrückte ein bitteres Lachen. »Ich komme halt in der anderen Welt nicht klar. Da fühle ich mich verloren.«
»Sei nicht so streng mit dir.«
Luke nickte und seufzte. Das war so ein Rat, mit dem er noch nie etwas hatte anfangen können.
»Ich glaube nicht, dass irgendeiner von uns weiß, wie man glücklich wird«, sagte Dom. Seine Stimme klang jetzt tiefer als sonst und ein bisschen wehmütig. »Vielleicht hat Hutch es ja richtig gemacht. Er hat nicht übertrieben. Ist auf dem Teppich geblieben. Hat sich nicht zu viel vorgenommen. Sich eine pflegeleichte Frau genommen. Hat auf sich aufgepasst. Aber wir anderen haben es nicht so gut hingekriegt, Alter, jedenfalls wenn man es sich unterm Strich anschaut. Was Phil und ich erreicht hatten, ist alles weg. Einfach alles. Wir sind nichts weiter als zwei Fettsäcke, die kurz vor der Scheidung stehen und in Zukunft nur beschränkten Umgang mit ihren Kindern haben dürfen. Zwei übergewichtige Deppen, die noch nicht mal eine Wanderung durch den Wald überstehen.«
Luke lachte. Er lachte und lachte, bis die Tränen ihm über die Wangen liefen.
»Oder?«, fuhr Dom fort, während er selbst tränenüberströmt vor sich hinlachte. »Phil hat eine echte Hexe geheiratet. Das war sein Problem. Der arme Kerl. Und diese Schlampe wird
jetzt alles bekommen. Genau das, was sie immer wollte. Hoffentlich kriegt sie jetzt die Schulden auch aufgebrummt. Aber Gayle … « Er hielt inne und atmete aus. Als er weitersprach, war seine Stimme nur noch ein Flüstern. »Sie wird damit nicht klarkommen. Und die Kinder auch nicht.
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